Nachricht | Parteien / Wahlanalysen «Gegen den Bundestrend kann man keine Wahl gewinnen»

Wahlnachlese mit Horst Kahrs, Wahlanalyst der Rosa-Luxemburg-Stiftung

Plenarsaal des Hessischen Landtags CC BY-SA 3.0, Martin Kraft / Wikimedia Commons

Rosa-Luxemburg-Stiftung: Du analysierst seit 2004 regelmäßig die Wahlausgänge auf Bundes- und Landesebene. Welches war für Dich das überraschendste Ergebnis der Landtagswahlen in Bayern und Hessen?

Horst Kahrs: Überraschend war für mich eher die erneut hohe Wahlbeteiligung als die Ergebnisse, also ein gesteigertes Interesse an Politik und Beteiligung. Der Wahlausgang war eigentlich vorhersehbar. Alle Umfragen deuteten in die Richtung. Ich hatte allerdings nicht mit dem so guten Abschneiden der Freien Wähler in Bayern und dem dadurch relativ schlechten Abschneiden der AfD gerechnet.

Und dass die Grünen so gut dastehen zeigt, dass offenbar viele Wähler*innen eine gesellschaftliche Alternative in der durch die Rechten polarisierten politischen Debatte suchen. Dass da ein Gegenpol gesetzt werden soll, das kündigte sich schon durch die überraschend große Teilnehmerzahl auf der #unteilbar-Demonstration in Berlin an.

Union und SPD klagten über mangelnden Rückenwind aus Berlin. Ist es ein Trend, dass es Wähler*innen zunehmend schwerer fällt, zwischen Landes- und Bundespolitik zu unterscheiden?

Die Wähler*innen unterscheiden schon. Das Ergebnis der Freien Wähler in Bayern ist ein gutes Beispiel dafür. Natürlich gibt es bei jeder Wahl auch das Bedürfnis, sich zur aktuellen Bundespolitik zu positionieren und Einfluss zu nehmen. Das haben diese beiden Wahlen oder auch die Landtagswahlen 2016 gezeigt.

Und außerdem darf man nicht vergessen: In der Lebenswelt ist zum Beispiel ein Verkehrsproblem ein Verkehrsproblem, das gelöst werden muss. Da ist die institutionelle Zuständigkeitsebene erstmal egal. Die Bürger*innen bewerten ihre persönliche Situation, unabhängig davon ob Bund, Land oder Kommune dafür zuständig sind.

Im Grunde genommen gibt es für die Parteien drei Möglichkeiten, Landtagswahlen zu gewinnen: Entweder sie haben ein spezifisches landespolitische Thema wie beispielsweise in Hessen lange Zeit den Ausbau des Frankfurter Flughafens oder sie haben in der Landespolitik stark verankerte Persönlichkeiten oder aber sie haben eine Bundespartei, die in der Öffentlichkeit ihre Themen so überzeugend rüberbringt, dass sie auch für die Landespolitik als wichtig erkannt oder die Landtagswahl für ein bundespolitische Votum genutzt werden kann.

Unterm Strich heißt das: Man gewinnt Landtagswahlen nicht allein mit bundespolitischen Themen und wird sie nie gewinnen, wenn es einen negativen Trend für die Bundespartei gibt.

Die Grünen waren in Bayern und Hessen so stark wie nie. Welche Gründe siehst du und wird sich dieser Trend fortsetzen?

Bei dem Erfolg der Grünen kommen zwei Dinge zusammen: Zum einen ist es ein Votum für einen problemorientierten und auf Ausgleich bedachten Politikstil; und zum anderen ein Votum dafür, sich wirklich wichtigen Zukunftsfragen wie einer konsequenten Umwelt- und Klimapolitik, der ökologischen Modernisierung usw. zuzuwenden. Man könnte sagen: Um die Grünen scharen sich Bürger*innen, die besorgt sind, dass diese Themen liegen bleiben.

Ich sehe gute Chancen, dass der Trend anhält. Auch wenn ich es am extremen Wetter in diesem Jahr festmache, bedeutet das doch, dass der Klimawandel als ein tatsächlich wichtiges Problem erkannt worden ist. Für viele Menschen ist eine Politik, die das Überleben auf unserem Planeten sichert, von zunehmender Bedeutung. Wenn dieses Anliegen nicht von anderen Parteien aufgegriffen wird, haben die Grünen gute Chancen, sich in dieser Größenordnung zu behaupten.

Die Hinwendung der Wähler*innen zu den Grünen ist auch ein Votum gegen Halbherzigkeiten in der Klimapolitik, gegen die Leugnung des Klimawandels, gegen Politiker*innen, die sich beispielsweise beim Dieselskandal von der Wirtschaft auf der Nase herumtanzen zu lassen.

Gibt es angesichts der Rechtsentwicklung in der Gesellschaft überhaupt noch Aussichten auf linke Mehrheiten?

Erstens muss man genauer hinschauen, was die Rechtsentwicklung betrifft. In Hessen beispielsweise haben die Parteien rechts von der Mitte auch nicht mehr Stimmen erhalten als zu Zeiten von Koch und Dregger in den 90er Jahren. Zweitens war die linke Mehrheit immer eine theoretische, denn sie hat – mit Ausnahme von einzelnen Ländern in Ostdeutschland – nie wirklich zur Abstimmung gestanden. Die zahlenmäßige Mehrheit von SPD, LINKEN und Grünen im Bundestag ist nie als politische Mehrheit verstanden worden.

Wir wissen gar nicht, wie die Mehrheitsverhältnisse wären, wenn es einen entsprechenden Lagerwahlkampf gäbe, also eine Regierungsalternative dieser drei Parteien tatsächlich zur Wahl stünde. Außerdem halte ich die aktuelle Stimmenverteilung noch nicht für dauerhaft. Eine wirkliche strukturelle rechte Mehrheit, die sich auch in Regierungshandeln niederschlägt, ist noch nicht vorhanden.

Die LINKE konnte erneut in den Hessischen Landtag einziehen, in Bayern hat sie den Einzug erneut verpasst. Welche Schlussfolgerungen siehst Du?

Die hessische Linke ist viel stärker landespolitisch, in Gewerkschaften und außerparlamentarischen Initiativen verankert als die bayerische Linke. Und Hessen war schon immer ein leichteres Pflaster für DIE LINKE als Bayern. Für landespolitische Erfolge ist das Auftreten der Bundespartei natürlich immer ein Türöffner. Es gab schon einmal, von 2008 bis 2010, erhebliche landespolitische Erfolge im Zuge der bundespolitischen Rolle der damals neuen Partei DIE LINKE.

Es stellt sich also die Frage, ob die Partei insgesamt noch mit den Themen öffentlich wahrnehmbar ist, die linksorientierte Wähler*innen für ihre Zukunft für wichtig erachten. Ich denke, dass es dabei viel stärker noch als bisher darum gehen muss, Themen wie die öffentliche Infrastruktur, also zum Beispiel den Zustand der Krankenhäuser und Schulen, aber auch der Umwelt im weitesten Sinne und die Beziehungen zu anderen Ländern in Europa und der Welt in den Mittelpunkt zu stellen und deutlich zu machen, dass DIE LINKE nicht nur für Verteilungsfragen steht sondern auch einen besseren und überzeugenderen Zukunftsentwurf anzubieten hat.

Das ist gerade deshalb so entscheidend, weil wir seit einiger Zeit wieder eine zunehmende Politisierung junger Menschen erleben. Nicht nur was die Eintritte in die Partei DIE LINKE oder Erfolge bei jüngeren Wähler*innen, sondern auch was eine generelle Änderung in der Haltung betrifft. Junge Leute entdecken verstärkt, dass sie sich einmischen und kümmern müssen.

Angela Merkel tritt ihren Rückzug von der politischen Bühne an. Im Dezember will sie nicht mehr als CDU-Parteivorsitzende kandidieren. Eine weitere Kanzlerschaft schließt sie aus. Ein gutes oder ein schlechtes Signal für die politische Lage in Deutschland?

Horst Kahrs: Abhängig davon wer Nachfolger*in wird, werden wir sie in der Welt der starken Männer schneller vermissen als wir uns heute vorstellen können.