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Konferenz der Rosa Luxemburg Stiftung zur Praxis-Gruppe und Korčula Sommer Schule in Jugoslawien 1963 – 1974

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Es war ein einmaliger Ort des Austauschs über die Grenzen des Kalten Krieges hinweg. Zwischen 1963 und 1974 trafen sich auf der Adriainsel Korčula kritische Intellektuelle aus Ost und West zu einer alljährlichen „Sommerschule“. Die Räume des kleinen Korčulaner Kulturhauses wurden für einen Moment zu einem Zentrum weltweiter Debatten um die Neubestimmung kritischer Philosophie, Soziologie und, untrennbar damit verbunden, der politischen Perspektivsuche. Herbert Marcuse, Ernst Bloch, Jürgen Habermas, Zygmunt Baumann und Agnes Heller sind nur einige Namen aus der langen Liste der internationalen Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Organisiert wurde die Veranstaltung von Mitarbeitern der in Zagreb herausgegebenen „Philosophischen Zeitschrift Praxis“, in der kritische Autorinnen und Autoren aus ganz Jugoslawien publizierten, der sich der Perspektive des „Humanistischen Sozialismus“ verbunden fühlten.

Mit einer internationalen Konferenz nahm die Rosa Luxemburg Stiftung die Diskussion dieses heute kaum mehr bekannten Erbes wieder auf. Vom 12. bis 16. Oktober versammelten sich auf Einladung des Belgrader Büros der RLS über 60 historische Akteure von „Praxis“ und „Sommerschule“ sowie vor allem jüngere WissenschaftlerInnen, die sich aus heutiger Perspektive mit dem Thema beschäftigten. Am historischen Ort der Sommerschule diskutierten sie über den historischen Kontext der Entwicklung des „Humanistischen Marxismus“, die Konflikte zwischen dem Bund der Kommunisten Jugoslawiens und der „Praxis-Gruppe“ sowie die Aktualität der Positionen der „Praxis-Philosophie“. Gäste aus Deutschland, Polen, Italien und Ungarn bereicherten die Diskussion mit Beiträgen zum internationalen Kontext.

Ein Höhepunkt war ein Panel, auf dem Zagorka Golubović, Nebojša Popov, Božidar Jakšić, Gajo Sekulić und Lino Veljak, AutorenInnen von „Praxis“ und TeilnehmerInnen der historischen Sommerschule, vertreten waren. Frau Prof. Golubović war mit 82 Jahren die älteste Rednerin. In ihrem energischen Beitrag rief sie die jüngeren TeilnehmerInnen zur kritischen Gesellschaftsanalyse und der Entwicklung einer antikapitalistischen Politik auf, die sich auf der Höhe der Zeit bewege. Frau Golubović betonte dabei vorallem die Pluralität der politischen Subjekte.

Im Laufe der Diskussionen wurde deutlich, dass die subjektorientierte Philosophie der „Praxis“ im Zusammenhang mit den Konstellationen des Kalten Krieges zu diskutieren ist. Der „Humanistische Sozialismus“ stellte eine Gegenbewegung zum Determinismus des „Sowjetmarxismus“ dar und knüpfte an Diskussionen der „Frankfurter Schule“ und der westlichen „Neuen Linken“ an. Wie mehrere ReferentInnen deutlich machten, ist die Opposition zwischen „Humanismus“ und „Anti-Humanismus“, wie sie vom Praxis-Gegenspieler Luis Althusser vertreten wurde, heute überholt. Im Zentrum der Diskussion über die mögliche Aktualität der Praxis-Philosophie stand dagegen die Aufforderung nach einer politischen Position der Philosophie als einer eingreifenden Wissenschaft, so wie sie von der historischen „Praxis“ verstanden wurde.

Boris Kanzleiter, Büroleiter Regionalbüro Südosteuropa der Rosa-Luxemburg-Stiftung

Weitere Informationen auf der Webseite zur Konferenz «Kritik und humanistischer Sozialismus».