Nachricht | Geschichte Leben am Abgrund

Zum 200. Geburtstag von Jenny Marx. Ein Portrait von Jörn Schütrumpf.

Information

Autor*in

Dietz-Verlag,

An Salzwedel, ihre Geburtsstadt, hatte Jenny Marx keine Erinnerung; ihre Eltern zogen fort, als sie zwei Jahre alt war. Ludwig von Westphalen, ein Politiker in Preußen, war 1816 in das durch die französische Revolution liberalisierte Trier versetzt worden. In dieser Woche wird in beiden Städten der adligen Tochter schottisch-deutscher Herkunft gedacht. Zu erwarten war das nicht unbedingt, zumindest nicht in Salzwedel: Die Jenny-Marx-Gedenkstätte im Geburtshaus der am 12. Februar 1814 das Licht der Welt Erblickende war nach 1990 geschlossen worden. Die einstige Hansestadt, Zentrum der deutschen Baumkuchenproduktion, schien nur noch aus Baumkuchen und allenfalls noch aus Friedrich Meinecke zu bestehen, dem Begründer der Ideengeschichte, 1862 daselbst geboren. Bis 2009 Karl-Heinz Reck, Kultusminister a. D. von Sachsen-Anhalt, einen Jenny-Marx-Freundeskreis gründete, der 2011 eine kleine Ausstellung ins Geburtshaus brachte.

Obwohl Jenny Marx, anders als ihr Mann, «wenig Sehnsucht nach dem Vaterland, dem ‹teuren›», hatte, ist sie nun zurück. Salzwedel kommt mit seiner Geschichte ins Reine. An diesem Wochenende wird mit Unterstützung der Rosa-Luxemburg-Stiftung eine neue Dauerausstellung sowie im Johann-Friedrich-Danneil-Museum die Sonderausstellung «Jenny Marx. Eine couragierte Frau zwischen Salzwedel und London» eröffnet, ergänzt von einem großen Begleitprogramm und vielen Reden. Für den 31. März hat sich in der Stadt Frau Merkel angesagt. Auch in Trier - dort hat man schon lange keine Probleme mehr mit der Gattin des Kommunisten Marx - wird das Jubiläum begangen.

Das Geburtshaus in der Jenny-Marx-Straße - sie heißt immer noch so - wurde unterdessen mit vielen Fördermitteln vorbildlich restauriert, die Musikschule des Altmarkkreises hat heute dort ihr Domizil. Im Garten entstand eine Probenhalle, direkt daneben Jennys Bronzeplastik von Heinrich Apel aus dem Jahre 1981. Die Franz-Mehring-Büste vor dem Redaktionssitz des «neuen deutschland» stammt übrigens auch von dem Magdeburger Künstler.

War Jenny nur die Frau eines berühmten Mannes, oder war sie mehr? Sicherlich, ohne Marx würde sich heute kaum jemand an eine Jenny von Westphalen erinnern. Frauen werden ohnehin schneller vergessen; wer kennt heute noch eine Flora Tristan, die Begründerin der französischen Arbeiterbewegung? Schon vor ihrer Liaison mit Marx befasste sich Jenny eher mit französischer als mit deutscher Literatur - obwohl sie ihren Hegel auch las und, wie sie schrieb, «durch den Feuerbach» ging. Außerdem sprach sie gut Englisch. Marxens Französisch hingegen war keineswegs sonderlich perfekt. Trotzdem konnte er 1847 sein Buch «Das Elend der Philosophie» auf Französisch veröffentlichen. (Noch 1851 schrieb Jenny an Friedrich Engels: «…so kehrte der Mohr vom Museum heim und begann, sich an der französischen Schmiere ‹die Finger zu verbrennen›».)

«So halte ich mich an jedem Strohhalm fest ...»

«Schreib nur nicht zu gallicht und gereizt. Du weißt, wieviel mehr Deine andern Aufsätze gewirkt haben. Schreib entweder sachlich und fein oder humoristisch und leicht. Bitte, lieb Herz, laß die Feder mal übers Papier laufen, und wenn sie auch mal stürzen und stolpern sollte und ein Satz mit ihr – Deine Gedanken stehn ja doch da wie Grenadiere der alten Garde, so ehrenfest und tapfer … Was tut’s, wenn die Uniform mal lose hängt und nicht so prall geschnürt ist. Wie ist es doch so hübsch am französischen Soldaten, das lose, leichte Äußere. Denk Dir da unsre gedrechselten Preußen. Schaudert Dir es nicht? – Laß mal das Riemenzeug los, und lüfte die Krawatte und den Tschako – laß die Partizipien laufen und stell die Wörter, wie sie es selber wollen. So ein Kriegsvolk muß nicht so regelrecht marschieren. Und Deine Truppen ziehn doch ins Feld? Glück auf dem Feldherrn, meinem schwarzen Herrn.»
Jenny Marx an Karl Marx, 1844

«La vie de bohème, das Leben als Bohemien, hatte ein Ende. Statt dass man bisher frei und offen den Kampf der Armut im Exil gekämpft hatte, galt es von neuem, den Schein der Ehrbarkeit wenigstens aufrechtzuerhalten. Wir segelten mit vollen Segeln ins Philisterium hinein. Da war noch derselbe kleine Druck, dasselbe Ringen, noch all der kleine Jammer, dasselbe intime Verhältnis mit der Pfandleihe; aber der Humor war dahin.»
Jenny Marx über das Jahr 1857, geschrieben 1865

«So halte ich mich an jedem Strohhalm fest. Ich möchte noch so gern ein bißchen länger leben, lieber, guter Doktor. Sonderbar ist’s: Je mehr die Geschichte zur Neige geht, je mehr hängt man an dem ‹irdischen Jammertal›.»
An Ferdinand Fleckles in Karlsbad, 1880

Aus: «Jenny Marx. Die Briefe»

Noch schwieriger war die Lage beim Englischen. Als Marx 1851 die Europakorrespondenz der «New-York Daily Tribune» - damals die größte Zeitung der Welt - angeboten bekam, hatte er gerade erst mit ernsthaften Englischstudien begonnen. Den Auftrag verdankte er Jenny, denn sie hatte 1848 den Revolutions-Touristen und Chefredakteur der «New-York Daily Tribune», Charles Anderson Dana, so sehr fasziniert, dass er sich noch drei Jahre später an sie erinnerte. Als Dana 1851 vom sozialen Desaster der beiden erfuhr, erteilte er Marx den Auftrag - er wollte vor allem Jenny helfen.

Die managte die Geschichte: Karl sammelte im Britischen Museum Material, das er an Friedrich Engels nach Manchester sandte. Der beherrschte das Englische, setzte sich abends nach seiner Arbeit hin und schickte seine Manuskripte nach London - die Post funktionierte damals noch. Jenny glättete das Geschriebene und verfasste die Satzmanuskripte; Marx’ Schrift konnte ohnehin kaum ein Mensch lesen. Im Übrigen trieb Jenny die beiden Männer ziemlich herb an; schließlich waren Kinder da - von den sieben Geborenen überlebten nur drei. Zweimal wöchentlich erklärte so Engels im Redigat der Jenny Marx unter der Maske von Karl Marx in den USA Hunderttausenden Lesern Europa und seine Politik. Das ging zwei Jahre lang, bis Karl seine Texte allein verfassen konnte; Jennys Redigat blieb.

Wenn der Satz stimmt, dass hinter jedem erfolgreichen Mann eine starke Frau steht, fällt Jennys Bilanz zwiespältig aus: Das «Manifest der Kommunistischen Partei», die empathische Jugendschrift, sowie «Das Kapital. Erster Band», Marx’ Hauptwerk, wurden zwar bis heute mehrere Millionen Mal gedruckt - seit vorigem Jahr sind sie sogar im Weltdokumentenerbe verzeichnet -; aber zu Marxens Lebzeiten waren sie Flops. Erfolg hatte Marx erst nach dem Tod. Sogar ernähren konnte der «Ernährer» seine Familie nur selten allein.

Was hält eine Frau bei so einem Mann? Zumal wenn ihr Halbbruder preußischer Innenminister ist, der um der «Familienehre» willen alles zu tun bereit war, seine Verwandte aus den Händen des Staatsfeindes Nr. 1, eines Juden noch dazu, zu befreien. (Selbst Jennys vom Leben gebeutelten Bruder Edgar, auch er einst Kommunist, versorgte er später mit einer lebenserhaltenden Stellung.)

Jenny und Karl verbrachten ihre Kindheit und Jugend in einer Zeit des Umbruchs: Das feudalismuskritische Bildungsbürgertum wurde vom schachernden Besitzbürgertum verdrängt. Goethe beschrieb das 1825 so: «Reichtum und Schnelligkeit ist, was die Welt bewundert und wonach jeder strebt. Eisenbahnen, Schnellposten, Dampfschiffe und alle mögliche Facilitäten der Communication sind es, worauf die gebildete Welt ausgeht, sich zu überbilden und dadurch in der Mittelmäßigkeit zu verharren. […] Eigentlich ist es das Jahrhundert für die fähigen Köpfe, für leichtfassende, praktische Menschen, die, mit einer gewissen Gewandtheit ausgestattet, ihr Superiorität über die Menge fühlen, wenn sie gleich selbst nicht zum Höchsten begabt sind. Lass uns soviel als möglich an der Gesinnung halten, in der wir herankamen; wir werden, mit vielleicht noch Wenigen, die Letzten sein einer Epoche, die so bald nicht wiederkehrt.»

Jenny und Karl Marx zählten zu diesen Letzten, beide waren gierig nach Leben, wollten anders sein als alle anderen: besser, solidarischer, unverklemmter. Statt von entfremdeter Zwangsarbeit wollten sie von geistiger Arbeit leben, nicht honett-bürgerlich und entsprechend verlogen, sondern frei und selbstbestimmt, kulturvoll und den Genüssen des Lebens zugetan. So wie sie es in ihrer Kindheit und Jugend im nachrevolutionären Trier erlebt hatten. Da sie ohnehin der von ihnen verachteten besitzbürgerlichen Gesellschaft den Garaus machen wollten, geriet der große Ausstieg zu ihrem Plan - und scheiterte. Eine nennenswerte Arbeiterbewegung, in der später die Bildungsbürger Franz Mehring und Rosa Luxemburg ihren antibesitzbürgerlichen Kampf führen konnten, existierte noch nicht. Es gab nur Friedrich Engels, den Besitzbürger.

Das war für Jenny bei allen Entbehrungen und Katastrophen vielleicht das Schlimmste: von so einem Emporkömmling abhängig zu sein, einem großzügigen noch dazu, der selbst noch die Vatersstatt für das Kind übernahm, das Karl mit der Haushälterin gezeugt hatte, der Frau, mit der Jenny einst in die Ehe gekommen war. Und immer wieder diese Bettelbriefe nach Manchester, wenn Marx krank daniederlag, und er lag oft danieder: «Lieber Herr Engels …» Nicht zu reden von Engels’ Frauengeschichten und Marxens regelmäßigen Aufenthalten in Manchester. Engels’ Partnerin, eine dem Leben zugewandte Irin, wurde von Jenny sogar offen abgelehnt; bei deren Tod verweigerte Jenny die Kondolenz.

Nun liegen eine neue Biografie von Angelika Limmroth und ein Dokumentenband vor: «Jenny Marx: Die Briefe» - nicht etwa: »Der Briefwechsel». Die Töchter Laura und Eleanor, aber auch Engels, haben so ziemlich alles vernichtet, dessen sie haben habhaft werden können. Denn: So durfte dieses Leben nicht gewesen sein. 329 Dokumente, Briefe von und an Jenny, Erbschaftsberechnungen etc. sind trotzdem erhalten geblieben - in ganz Europa verstreut. Marx-Forscher Rolf Hecker, gefördert von der Rosa-Luxemburg-Stiftung und unterstützt von Angelika Limmroth, trug sie zusammen. Es ist nicht nur ein Blick in den Abgrund - aber es ist auch ein Blick in den Abgrund. Unter solch argen Bedingungen wurde dennoch Großes geleistet, wurden die theoretischen Grundlagen für den Sozialismus gelegt.

Jörn Schütrumpf

Angelika Limmroth: Jenny Marx. Die Biographie. 303 S., geb., 24,90 €. Rolf Hecker/Angelika Limmroth (Hg.): Jenny Marx. Die Briefe. 607 S., geb., 39,90 €. Beide Bände zusammen 54 €. Karl Dietz Verlag Berlin.


Dieser Text wurde veröffentlicht in der Tageszeitung «neues deutschland»