Publikation Globalisierung Die EU, die Türkei und die kurdische Realität

Bericht über die von der Rosa-Luxemburg-Stiftung geförderte Konferenz

Information

Reihe

Online-Publ.

Autor

Florian Weis,

Erschienen

Mai 2001

Bericht über die von der Rosa-Luxemburg-Stiftung geförderte Konferenz

Der Dialog-Kreis, die deutsche Sektion der IPPNW und das Komitee für Grundrechte und Demokratie, die einer friedlichen, politischen Lösung im türkisch-kurdischen Konflikt verpflichtet sind, veranstalteten am 12. Mai 2001 in Zusammenarbeit mit dem Abgeordnetenhaus Berlin eine Konferenz unter dem Motto "Die EU, die Türkei und die kurdische Realität".

An ihr haben sich unter anderen der renommierte Menschenrechtler Akin Birdal und der stellvertretende Vorsitzender der prokurdischen HADEP-Partei, Hamid Geylani, der Direktor des Deutschen Orientinstituts in Hamburg, Prof. Udo Steinbach, Prof. Andreas Buro, der Koordinator des Dialog-Kreises, BundestagsabgeordnetInnen, fachpolitische Vertreter der Bundestagsparteien, von vielen Menschenrechtsorganisationen, deutschen, kurdischen und türkischen Gruppierungen beteiligt.

Zuvor, am 10. und 11. Mai, hat der Dialog-Kreis mit den Gästen aus der Türkei Gespräche mit PolitikerInnen aller im Bundestag vertretenen Parteien, mit dem Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Herrn Pleuger, mit der Vorsitzenden des Menschenrechtsausschusses, Frau Nickels, sowie mit dem Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung, Herrn Poppe geführt.

Zunächst gab Prof. Andreas Buro eine Übersicht zu den friedenspolitischen Problemen der EU-Beitrittskandidatur der Türkei. Viele Kurden hätten die Befürchtung, dass ihre friedens- und kulturpolitischen Anliegen im Prozess der Integration der Türkei in Vergessenheit geraten könnten, da bisher von seiten Ankaras keine Schritte erkennbar seien und auch die EU-Staaten keine spezifischen Förderungsprogramme erarbeitet hätten.

Der Hungerstreik der Gefangenen um ihre Haftbedingungen und die Ablehnung jedes Dialogs Ankaras berge großen Zündstoff und gefährde viele weitere Menschenleben, wie Herr Birdal ausführte. Daran schloss sich die Bitte an die Bundesregierung, alle Ihre Einflussmöglichkeiten zu nutzen, damit eine schnelle Verständigung erreicht wird. Die Voraussetzung auf Seite der Gefangenen hierfür sei durchaus gegeben. Er nahm an, eine dringlich vorgetragene Bitte des Kabinetts würde ihre Wirkung nicht verfehlen. Da es in den Gefängnissen bis jetzt über 50 Tote gegeben hat, zähle jeder Tag in diesem Konflikt. Birdal gab eine umfangreiche Darstellung über die menschenrechtliche Situation in der Türkei.

Der stellvertretende Vorsitzende der HADEP Hamid Geylani skizzierte die zur Zeit herrschenden Verhältnisse in den vorwiegend kurdischen gebieten und die großen Probleme für die Rückkehr der vertriebenen Kurden in ihre Heimatdörfer. Die Repression gegenüber der HADEP und der Bevölkerung sei nach wie vor groß und keine Kooperationsbereitschaft zum Wiederaufbau mit den türkischen Behörden gegeben.

Zum Stand der Akzeptanz und Anerkennung der kurdischen Identität und Kultur in der Türkei referierte Selim Ferat.

Prof. Udo Steinbach konzentrierte sich in seinem Vortrag auf die Probleme einer wirkungsvollen politischen Vertretung der kurdischen Anliegen und forderte die kurdische Seite auf, sich endlich wirkungsvoll zu organisieren.

Zu den meisten Vorträgen ergaben sich längere Diskussionen. Übereinstimmung ergab sich zumindest in den folgenden Gesichtspunkten:

Seit dem Helsinki-Gipfel der EU im Dezember 1999 hat sich nach übereinstimmender Analyse in der Friedens- und Menschenrechtspolitik der Türkei nur sehr wenig geändert. Die gegenwärtige Finanz- und Wirtschaftskrise in der Türkei wurde nicht zuletzt als eine Krise des politischen Systems verstanden. Wegen dieses Zusammenhanges sollte etwaige deutsche Finanzhilfe an die Türkei nur in Raten und geknüpft an die Erfüllung bestimmter Mindestbedingungen gezahlt werden. Diesseits von ökonomischen Bedingungen wurden

  • die tatsächliche Durchsetzung der Meinungsfreiheit sowie die Abschaffung der entsprechenden Strafbestimmungen
  • die Amnestie für politische Gefangene und ‚Meinungstäter' - die beschlossene Amnestie schließt diese weitgehend aus
  • die Aufhebung des Ausnahmezustandes in den vorwiegend von Kurden besiedelten Gebieten der Türkei
  • sowie die Schaffung der Rückkehrmöglichkeiten der vertriebenen Kurden in ihre Siedlungen

als vordringliche Bedingungen bezeichnet.

Die Konferenz war geprägt von der Befürchtung, im Annäherungsprozess an die EU könne die friedenspolitische Lösung der Kurdenfrage im Rahmen der Türkei auf der Strecke bleiben. Damit sei aber auch der erhoffte Demokratisierungsprozess gefährdet. Eine friedliche politische Lösung der Kurdenfrage und die Demokratisierung des Landes seien unauflöslich miteinander verbunden. Angesichts der fehlenden Bereitschaft Ankaras, angemessene Schritte in der Kurdenfrage zu unternehmen, wurde die Möglichkeiten neuer Gewalteskalationen nicht ausgeschlossen, was sich auch auf Deutschland auswirken könne.

Deshalb sei es wichtig, den einseitigen Gewaltverzicht des kurdischen Konfliktpartners PKK in seiner Bedeutung anzuerkennen und sie so zu ermutigen, ihre friedenspolitische Orientierung aufrecht zu erhalten. Für die deutsche Politik würde dies bedeuten, die bestehenden Verbote und Restriktionen aufzuheben und den Dialog mit Repräsentanten der kurdischen Seite zu eröffnen. Die Friedensbereitschaft der Kurden darf nicht länger zurück gewiesen werden. Präventive Politik sei dringend gefragt.

Mehmet Sahin, Geschäftsführer des Dialog-Kreises

Florian Weis - rls