Publikation Ungleichheit / Soziale Kämpfe - Krieg / Frieden Wer über Antiamerikanismus redet und über Amerikanismus schweigt, heuchelt

Text der Woche 12/2003. von Michael Brie

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Reihe

Online-Publ.

Autor

Michael Brie,

Erschienen

März 2003

Text der Woche 12/200310 Thesen für eine Podiumsdiskussion am Ost-West-Kolleg, Brühl, 13.3.2003

  1. Die Diskussion zum Antiamerikanismus läuft aus mehreren Gründen falsch: Erstens unterstellt sie, dass Antiamerikanismus eine falsche Position sei. Derjenige, der des Antiamerikanismus bezichtigt wird, wird in eine Position der Rechtfertigung gedrängt, ohne dass Kriterien genannt sind, an denen eine Position gemessen wird. Anstelle zu fragen, ob eine Position mit Antiamerikanismus zu bezeichnen sei, sollte gefragt werden, ob sie den Werten von Freiheit, Gleichheit, Demokratie und Frieden verpflichtet ist oder nicht und ob sie sich ernsthaft der Frage stellt, wie diese Werte praktisch eingelöst werden können.

  2. Die Diskussion zum Antiamerikanismus läuft zweitens auch deshalb falsch, weil sie den Vorwurf des Antiamerikanismus gegenüber geistigen oder politischen Gegnern erhebt, zugleich aber damit Amerikanismus für eine über jeden Vorwurf erhabene Position ausgibt, ohne dies selbst direkt zu behaupten. Die Diskussion zum Antiamerikanismus verhält sich auf verstohlene Weise positiv zum Amerikanismus, in dem er dessen reale oder vermeintliche Gegner diskreditiert. Damit wird aber die Frage, ob der Amerikanismus wirklich ernsthaft den genannten Werten verpflichtet ist und die von ihm propagierten Mittel diesen Werten entsprechen, der Analyse und Kritik entzogen.

  3. Die Diskussion zum Antiamerikanismus, soweit sie sich gegen politische Akteure im linken Spektrum richtet, läuft schließlich drittens deshalb falsch, weil es zumindest auf der Linken keine ernstzunehmende antilibertäre Kritik der Politik der USA-Regierung gibt. Man kann fragen, ob die Positionen der Linken von SPD über Bündnis 90/Die Grünen bis PDS, von den Gewerkschaften bis ATTAC illusionär sind, aber sie sind nicht gegen freie und offene Gesellschaften gerichtet, sie behaupten zumindest, sie zu verteidigen. Geistig und politisch handelt es sich - auf der Ebene der Werte - nicht um den Konflikt zwischen Freiheit und Diktatur, sondern höchsten um unterschiedliche Wege zu mehr Freiheit, über deren intendierte und nichtintendierte Folgen sachlich gestritten werden sollte.

  4. Amerikanismus, so sei behauptet, ist vor allem eine Ideologie, die die unilaterale Weltmachtrolle der USA als universales Menschheitsinteresse zu legitimieren sucht. Die USA wird durch den Amerikanismus in die Rolle eines unikalen Akteurs gebracht, dessen Interessen im Wesen mit den Interessen der Menschheit an Frieden, Gewaltfreiheit, Demokratie und wirtschaftlichem Wohlergehen zusammenfallen. Samuel P. Huntington bringt diese Position auf den Begriff, wenn er schreibt: "Ohne die Vorherrschaft der USA wird es auf der Welt mehr Gewalt und Unordnung und weniger Demokratie und wirtschaftliches Wachstum geben, als es unter dem überragenden Einfluss der Vereinigten Staaten auf die Gestaltung der internationalen Politik der Fall ist. Die Fortdauer der amerikanischen Vorherrschaft ist sowohl für das Wohlergehen und die Sicherheit der Amerikaner als auch für die Zukunft von Freiheit, Demokratie, freier Marktwirtschaft und internationaler Ordnung in der Welt von zentraler Bedeutung."(1)

  5. Während Marx vor 160 Jahren die historische Mission des Proletariats erfand, wird heute die Ideologie der welthistorischen Mission der USA vertreten. Wo Marx in der Arbeiterklasse einen sozialen Akteur gefunden zu haben glaubte, der durch die eigene Befreiung zugleich "alle unmenschlichen Lebensbedingungen der heutigen Gesellschaft" aufheben würde, so sieht der Amerikanismus in den USA einen globalen Akteur, der gerade durch seine Herrschaft zur Befreiung aller anderen von den schlimmsten Übeln der Welt beitragen würde. Anstelle des Stoßes der Gerechtigkeit von unten (Ernst Bloch) wird die Durchsetzung der Gerechtigkeit von oben erwartet. Dies sollte nun jede und jeden mit mindestens genauso viel Misstrauen erfüllen wie die suggestive Losung von der historischen Mission der Arbeiterklasse.

  6. Der herrschende Machtblock in den USA ist dabei, seine eigene Vormacht in den USA dadurch auszubauen und unangreifbar zu machen, indem er offen für die USA einen imperialen Anspruch erhebt, der außerordentlich stark militärisch gestützt ist und dem rüstungsindustriellen Komplex wieder eine zentrale Rolle zuweist sowie sich die direkte Kontrolle über die wichtigsten Ölressourcen der Erde sichert. Es handelt sich um einen imperialen Amerikanismus, der sich vom hegemonialen Amerikanismus der Clinton-Ära dadurch unterscheidet, dass er die Elemente direkter Gewalt, unilateralen Handelns unter Aussetzung des Völkerrechts sowie der offenen Einmischung in die inneren politischen Verhältnisse anderer Länder verstärkt. Damit soll für lange Zeit ein von der USA definiertes globales System durchgesetzt werden, in dem die wichtigste Regel lautet: Unterordnung unter die USA als einzigem ernst zu nehmenden Garanten von Freiheit, Demokratie und Wohlfahrt.

  7. Hauptelemente des imperialen Amerikanismus der Bush-Administration und seines Machtblocks sind:
    1. Konstitution der USA als einzigen Staat mit uneingeschränkter und globaler Souveränität bei gradueller bis völliger Einschränkung der Souveränität anderer Staaten (bis hin zur direkten und dauerhaften Besetzung und Verwandlung derselben in Protektorate der USA);
    2. Reklamation eines uneingeschränkten globalen Gewaltmonopols für die USA als Garanten der Sicherheit der USA wie von Freiheit, Menschenrechte und Demokratie in jedem anderen Teil der Erde;
    3. das alleinige Recht der USA, Präventionskriege zu führen, falls irgend jemand auch nur perspektivisch die genannten Ansprüche der USA in Frage stellen könnte und/oder zum Konkurrenten für die USA werden könnte, wie es die Sowjetunion vierzig Jahre lang war;
    4. offensive und unter Umständen auch gewaltsam herbeigeführte Veränderung der wirtschaftlichen und politischen Systeme anderer Länder.

  8. Der wesentliche innere Widerspruch des Amerikanismus besteht darin, dass er sich auf Werte der Freiheit, Menschenrechte, Demokratie und freier Märkte beruft, zu ihrer Durchsetzung aber zu Mitteln greift, die im konkreten Fall jeweils Unterordnung unter die USA, Aussetzung von Völkerrecht und Menschenrechten, die Etablierung politisch abhängiger Regime und die Schaffung eines monopolistischen Zugriffs der USA und ihrer Verbündeten auf wesentliche globale Ressourcen beinhalten (Ziel-Mittel-Verkehrung). Der Anspruch, dass die USA ihre eigenen Interessen global durchsetzen, weil damit zugleich auch den Interessen aller am besten gedient sei, ist nicht durch demokratische Prozeduren legitimiert, sondern selbstreferentiell: Die absolute Vormacht der USA sei die beste aller möglichen Mächte, weil angesichts der Ohnmacht aller anderen die anstehenden Probleme nicht gelöst werden können - und dies sei auch gut so und müsse so bleiben.

  9. Die langfristigen Folgen dieses imperialen Amerikanismus sind entgegen den Proklamationen ihrer Vertreter außerordentlich problematisch. Genannt seien u. a.:
    1. Aushöhlung stabiler Bündnissysteme;
    2. Militarisierung der internationalen Beziehungen, beschleunigte Proliferation von Massenvernichtungswaffen, eine neue Welle von Hochrüstung bei sinkenden Mitteln für die Lösung sozialer und ökologischer Fragen;
    3. Übergang zu einem System der Willkür in den internationalen Beziehungen und Abbau ihrer völkerrechtlichen Grundlagen und Schwächung aller internationalen demokratischen Institutionen, soweit überhaupt vorhanden;
    4. Verfestigung einer ungerechten Weltwirtschaftsordnung und Zuspitzung anderer globaler Probleme;
    5. Durchsetzung einer imperialen Kultur.

  10. 10. Aristoteles unterschied drei legitime Formen politischer Macht - Monarchie, Aristokratie und Politie: Herrschaften, wo der eine, die wenigen oder die vielen jeweils das Gemeinwohl zum Ziele ihres Handelns haben. Tyrannis, Oligarchie und Demokratie seien Abarten, wo das Gemeinwohl zugunsten der Interessen des Einen, der wenigen Reichen oder der Besitzlosen aufgegeben werde.(2) Imperialer Amerikanismus ist global nichts anderes als eine Tyrannis, die den Anspruch darauf erhebt, eine legitime Monarchie zu sein, die dem Wohl aller verpflichtet ist. Im Konflikt damit stehen Frankreich, Deutschland, Russland und China und andere Regionalmächte, die die Interessen der Oligarchen zum Ausdruck bringen und am Übergang von tyrannischen Formen zu korporativen Formen der Regelung interessiert sind. Ohne jede Repräsentanz in den etablierten internationalen Organisationen sind die Vielen. Sie demonstrieren auf Straßen und organisieren sich als globale Zivilgesellschaft vor allem auch im Prozess des Weltsozialforums. Der jetzige Konflikt zwischen Tyrannis und Oligarchie sollte nicht vergessen machen, dass die legitimen Ansprüche der Vielen auf die Errichtung einer internationalen Ordnung, die gekennzeichnet ist durch die Teilhabe aller, die Sicherung gleicher Rechte aller, die Schaffung legitimer Gewalten, die tatsächlich den Interessen aller verpflichtet sind, bisher uneingelöst ist.

Anmerkungen:

(1) Samuel P. Huntington: Why International Primary Matters. In: International Security (Spring 1993), S. 83. Und aus der Vielzahl neuerer Publikation: "U.S. allies must accept that some U.S. unilateralism is inevitable, even desirable. This mainly involves accepting the reality of America`s supreme might - and, truthfully, appreciating how historically lucky they are to be protected by such a relatively benign power.", Michael Hirsh, Bush and the World, in: Foreign Affairs September / October 2002.

(2) "Die Tyrannis bedeutet nämlich eine Alleinherrschaft mit Rücksicht auf den Nutzen des Alleinherrschers, die Oligarchie eine Herrschaft mit Rücksicht auf den Nutzen der Wohlhabenden, die Demokratie aber eine Herrschaft mit Rücksicht auf den Nutzen der Mittellosen. Keine von ihnen aber ist für den gemeinsamen Nutzen dar." Aristoteles : Politik. Schriften zur Staatstheorie. Übersetzt und herausgegeben von Franz F. Schwarz. Philipp Reclam jun. Stuttgart, S. 170.B

Berlin, im März 2003