Wie kein anderer Akteur der Französischen Revolution hat Anacharsis Cloots (1755-1794) die globale Bedeutung der 1789 erklärten Menschen- und Bürgerrechte erkannt und vertreten. Unermüdlich stritt er für eine friedliche und freie Weltrepublik der gesamten Menschheit -
jenseits aller Nationen, Religionen und Klassen. In seinen Parlamentsreden zeigen sich die Menschenrechte in ihrer ganzen Tragweite, Intensität und ursprünglichen Wehrhaftigkeit.
1755 in der Nähe von Kleve geboren, ist Cloots der einzige gebürtige Preuße, der im Verlauf der Revolution in den Konvent gewählt wird. Dennoch ist er im deutschsprachigen Raum weitgehend unbekannt: Seine Werke, sämtlich auf Französisch verfasst, waren bisher nicht in
deutscher Übersetzungen zugänglich. Eine Auswahl an "Reden aus der Französischen Revolution 1790 - 1793" liegen jetzt sorgfältig übersetzt und ediert beim Verlag "Das kulturelle Gedächtnis" vor. "Herausgegeben, übersetzt und bevorwortet" hat den Band der Münchener Tobias Roth, der nun auch als Rezitator der Reden in der Glockenbachwerkstatt auftritt.
Wer war dieser heute weitgehend unbekannte Philosoph und Akteur der Revolution? Cloots stammt aus einer niederländischen Kaufmannsfamilie, die es erst zu Reichtum und dann auch zu Adel gebracht hat. Er wird als Johann Baptist Hermann Maria Baron de Cloots 1755 in der Nähe von Kleve geboren und besucht erstklassige Schulen in Brüssel, Mons und Paris sowie die Berliner Militärakademie Friedrichs des Großen. Mitte der 70er-Jahre, nach dem Tod seines Vaters, siedelt er nach Paris über. Dort kommt er in Kontakt mit den Zirkeln der Aufklärung, macht Bekanntschaft etwa mit Rousseau oder Benjamin Franklin, aber auch mit dem von ihm besonders verehrten Voltaire. Im Revolutionsjahr 1789 legt er seinen Adelstitel ab und stürzt sich in das revolutionäre Geschehen. Auch nimmt er jetzt den Namen Anacharsis an, um auf seine exzentrische Position als holländischer Preuße in der Französischen Revolution hinzuweisen: Anacharsis ist der Name eines legendarischen, skythischen Philosophen der Antike, des einzigen "Barbaren" unter den kanonischen Weisen Griechenlands. Zentrales Thema sind für ihn die 1789 erklärten Menschen- und Bürgerrechte.
Besonders seine Reden zeigen ihn als eminenten politischen Denker, als brillanten und schlauen Rhetor, als kompromisslosen Kämpfer. Der revolutionäre Schwung und die ungestüme Begeisterung, mit der die Menschenrechte gefeiert werden, sind ein Lese- und Denkerlebnis - nicht nur bis heute, sondern vor allem heute. Die Menschenrechte, in Mitteleuropa eine Selbstverständlichkeit, aber vielerorts noch ein Kampfplatz, zeigen ihren universalen Anspruch, ihre Sprengkraft.
Cloots ist als "Ausländer" stets Anfeindungen und Spionageverdacht ausgesetzt. Dass er zudem vehement antireligiöse und antinationale Positionen vertritt, bringt ihm die Feindschaft Robespierres ein.Am 26. Dezember 1793 hält er seine letzte Rede, am selben Tag werden alle Ausländer aus dem Konvent ausgeschlossen, in der Nacht vom 27. auf den 28. Dezember wird Cloots inhaftiert; der gleiche Haftbefehl trifft Thomas Paine, dem Vordenker der Amerikanischen Revolution von 1776. Er teilt sich Schauprozess und Schafott mit den Hébertisten und wird am 24. März 1794 guillotiniert. Es ist eine mächtige und schauerliche Koinzidenz: Anacharsis Cloots, der sich für eine grenzenlose Welt einsetzte und die vereinte Menschheit feierte, fällt der ersten Aufwallung des modernen Nationalismus, die mit Robespierres Terreur beginnt, zum Opfer.
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Fritz Burschel
Regionalbüroleiter Bayern, Rosa-Luxemburg-Stiftung Bayern / Kurt-Eisner-Verein
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