27. Mai 2022 Diskussion/Vortrag Nico Bobka: «Kritische Theorie des Antiziganismus: Zur Urgeschichte und Psychoanalyse des geschichtlich Unheimlichen»

Hybride Reihe: Kritischen Theorie & zur Kritik des Antisemitismus

Information

Veranstaltungsort

Universität Passau
Innstraße 39
94032 Passau

Zeit

27.05.2022, 20:00 - 22:00 Uhr

Themenbereiche

Gesellschaftstheorie

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Alle Vorträge der Reihe «ohne angst verschieden sein»: Vorträge zur Kritischen Theorie & zur Kritik des Antisemitismus finden im Hörsaal 4 (Philo) der Universität Passau statt. Im Hörsaal gilt 2G und Maskenpflicht. Der Kooperationspartner bittet darum, die Corona-Warn-App zu installieren und auf Abstände zu achten.
Zusätzlich werden alle Vorträge auf BigBlueButton gestreamt: https://bbb.linxx.net/b/luk-jx0-s1d-yq3

Nico Bobka: «Kritische Theorie des Antiziganismus: Zur Urgeschichte und Psychoanalyse des geschichtlich Unheimlichen»

«Die Juden sind die heimlichen Zigeuner der Geschichte», schrieb Theodor W. Adorno in einem Brief an Max Horkheimer. Die Gedanken, die Adorno um diese These herum entfaltet, erschienen ihm «so waghalsig», dass er sich nicht traute, sie jemand anderem als Horkheimer zu zeigen. Dennoch konnte er sich des Gefühls nicht erwehren, mit diesen fragmentarischen Überlegungen ein wichtiges Motiv erkannt zu haben, das eine «zugleich einheitliche und nicht rationalistische Erklärung des Antisemitismus» erlaubt.

Was Adorno erkannt zu haben meinte, betrifft unweigerlich auch die kritische Theorie des Antiziganismus: archaische Züge, die ihre Ursache in einem sehr frühen Stadium der Geschichte der Menschheit haben. Das Aufgeben des Nomadentums, die mit dem Sesshaft-Werden zusammenfallende Arbeit und aller damit verbundene Triebverzicht, sei eines der schwersten Opfer gewesen, das die Geschichte der Menschheit auferlegt habe. Das Bild der Juden als Zigeuner der Geschichte, damit das Bild der Zigeuner überhaupt, repräsentiert das eines Zustands der Menschheit, der die Arbeit nicht gekannt hat; Zigeuner gelten als diejenigen, die den schmerzlichen Prozess der Zivilisation verschmäht oder nur unzureichend vollzogen haben, die sich nicht dem Primat der Arbeit haben unterwerfen lassen. Je mehr die zur zweiten Natur gewordene Welt der Sesshaftigkeit, als eine der Arbeit, die Unterdrückung reproduziert, desto mehr scheinen sich die Zivilisierten den Gedanken an einen nomadischen Zustand des Glücks, so unglücklich dieser selbst auch sein mag, nicht mehr erlauben zu dürfen und die sich im Bild der Zigeuner andeutende Erinnerung verbieten zu müssen.

Im Abendvortrag soll zumindest angedeutet werden, dass der Antiziganismus nicht in der wie verzerrt auch immer wahrgenommenen Lebensrealität der Sinti oder Roma wurzelt. Im Anschluss an Franz Maciejewskis psychoanalytische Überlegungen soll der Antiziganismus auf den Begriff gebracht werden: als ein Antiziganismus ohne Sinti oder Roma – nicht jedoch ohne Zigeuner. Der Begriff des Zigeuners kann kritischer Theorie daher nicht etwa Anlass sprachpolitischer Interventionen sein, sondern gilt ihr vielmehr als Einstieg zu einer zu reflektierenden Urgeschichte des Antiziganismus; einer Urgeschichte der Gattung, die noch in jeder individuellen Entwicklung wiederholt wird. So wird sich herausstellen, dass der Zigeuner kein Konstrukt ist, sondern vielmehr Produkt des Zivilisationsprozesses, das sich im Unbewussten der Subjekte niedergeschlagen hat. Der Zigeuner wäre somit der Deckname für in die Außenwelt projizierte, dem Bewusstsein verborgene, tabuisierte und verleugnete Selbstanteile der Antiziganer; und der Antiziganismus wäre der niemals endende Versuch, am Objekt der Projektion die eigenen zivilisatorischen Zurichtungen nachzuahmen und zu vollenden.

Das begleitende Lektüreseminar (14-18 Uhr, Anmeldung: info@luks-passau.org)  vertieft und diskutiert die im Vortrag referierten Thesen. Anhand von Briefwechseln und einem kaum rezipierten Memorandum werden die Überlegungen Horkheimers und Adornos rekonstruiert, die schließlich in der Dialektik der Aufklärung und den Elementen des Antisemitismus fragmentarisch zusammengefügt worden sind. Dabei soll die implizit formulierte kritische Theorie des Antiziganismus herausgearbeitet werden.

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Eine Veranstaltungsreihe von der Liste der unabhängigen kritischen Student*innen (LUKS Passau) in Kooperation mit der Petra-Kelly-Stiftung und dem KEV.

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Dr. Julia Killet

Regionalbüroleiterin Bayern, Rosa-Luxemburg-Stiftung Bayern / Kurt-Eisner-Verein

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