Nachricht | Antisemitismus (Bibliographie) - Nahost und Antisemitismus in der BRD - Antisemitismus (Artikel) Maximilian Elias Imhoff: Antisemitismus in der Linken, Frankfurt 2011.

Wie antisemitisch ist die Linke? Imhoff widmet sich dieser Frage in der ersten und bisher einzigen quantitativen Studie über die Linke.

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Autor

Peter Ullrich,

Wie antisemitisch ist die Linke? Wie hängen Antisemitismus und Antizionismus zusammen? Welche Faktoren erklären linken Antisemitismus? Imhoff widmet sich diesen Fragen in der ersten und bisher einzigen quantitativen Studie über die Linke.

Bei allen ernsthaften Problemen, die das mit sich bringt: Hier wird methodisches Neuland zum Glück endlich betreten. Die Ergebnisse überraschen nicht. 17 Prozent der Befragten seien (latente) Antisemiten, 21 Prozent hätten Abgrenzungsprobleme zum Antisemitismus. Zwischen den extremen antizionistischen und antideutschen Positionen besteht eine relative Ausgeglichenheit; der «Solidaritätsdurchschnitt» neigt sich nur leicht zur palästinensischen Seite.

Allerdings ist die Stichprobe nicht repräsentativ. Faktoren, die eine Neigung zu antisemitischer Israelkritik bedingen, sind: starke Palästina-Solidarität, Denken in nationalen Kategorien, personifizierende Kapitalismuskritik, die Lektüre der Zeitungen Junge Welt und uz. Methodisch gibt es jedoch ein Tautologieproblem, denn Antisemitismus wird kaum in Items zur «Judenfeindschaft» gemessen, sondern in Fragen zu Israel, die zum Teil antisemitischen Mustern folgen. Dabei wird (bspw. in der Charakterisierung Israels als «besonders stark», i.e. «jüdische Macht») nicht zwischen Ressentiment- und Realitätsgehalt unterschieden. «Überzogene» oder ressentimentgeladene Israelkritik kann so vorschnell und vereinfachend als Ausdruck von Antisemitismus gedeutet werden. Dieser Bias des Autors zeigt sich auch in sprachlichen Patzern, wenn beispielsweise nationale Befreiungsbewegungen durchweg als «völkisch» tituliert werden.

Trotzdem enthält das Buch aufschlussreiches Material aus dem Milieu der Überidentifizierten. Ein Beispiel: Selbsternannte Pazifist*innen distanzieren sich im Falle Israels zu großen Teilen nicht von Terroranschlägen. Die Studie, ursprünglich eine Abschlussarbeit, ist kein Lesegenuss. Schwer verständliche Abschnitte und viel Statistik begrenzen die Zielgruppe, die Operationalisierung der Fragestellung ist zum Teil fragwürdig, Kontrollgruppen fehlen. Aber: Ein methodischer Anfang ist gemacht.
 


Imhoff, Maximilian Elias: Antisemitismus in der Linken. Ergebnisse einer quantitativen Befragung, Frankfurt 2011: Peter Lang Verlag (162 S., 31,90 €).