Caracas ist eine Stadt mit 7 Millionen Einwohnern, mit viel Grün und viel Beton vor allem aus den 70er und 80er Jahren. Gigantische Betonpaläste, als ob ein Ausspruch Simon Bolivars, nachlesbar in großen Lettern an den Wänden des Justizpalasts, auf diese Weise befolgt werden müsste: „Wenn die Natur gegen uns ist, werden wir sie besiegen“ Aber bevor man zur Stadt vordringen kann, fährt man über drei Stunden vom Flughafen durchs Gebirge, an deren Hängen die kleinen bunten Hauser der Barrios kleben, nahezu romantisch, wüsste man nicht um die Armut ihrer Bewohner.
Seit 2 Jahren regnet es, sagen die Caraqueños, die den Teilnehmern des VI. Sozialforums in Lateinamerika mit Respekt oder Ablehnung begegnen. Und so gespalten wie die Bewohner das Forum sehen, so gespalten stehen sie zu Präsident Hugo Chavez, der seit 1999 das Land regiert. Er, der Indigene, der Argentinien von Schulden befreit, Evo Morales 32 Millionen verspricht, der 2000 Hauser auf Cuba bauen soll, während sie in Caracas zusammenfallen, bringt mit diesem Forum, das sich Caracas nicht leisten könne, nun auch die Indigenen in die Stadt und zimmere sich seine internationale Tribüne. Diese Haltung spürt und hört man auf den Wegen durch die Stadt – sichtbar mit dem Schild des Sozialforums um den Hals.
Chavez politisiert und spaltet die Gesellschaft. Die Gesellschaft soll national unabhängig und ökonomisch eigenständig sein, verbunden mit basisdemokratischen Elementen und politischer Beteiligung der Bevölkerung durch Volksentscheide und Referenden. Er will eine gerechte Verteilung der umfangreichen Erdöleinnahmen und die Bekämpfung von Korruption. Damit trifft er nicht nur die Reichen der Gesellschaft, sondern auch den Mittelstand und die mit ihm stark amerikanisierte Lebensweise. Mit dem Öl, der Produktion des Reichtums in Venezuela seit den 30er Jahren war die Ausbildung und Arbeit der Generation von Ingenieuren und Technikern US-amerikanisch geprägt und führte zur Herausbildung einer sozial gesicherten und anerkannten Mittelschicht. Deren sozialer und gesellschaftlicher Status und deren Lebensweise wird mit dem Modell der nationalen Unabhängigkeit und Eigenständigkeit, der Besinnung auf eigene, multiethnische, traditionelle Kulturen als Reichtum von Gesellschaft konkret im Konzept einer „integrativen“ Demokratie Chavez in Frage gestellt. Ein Verständnis von Gerechtigkeit unterschiedlicher Dimensionen sozialer und politischer Integration, zu der das Alphabetisierungsprogramm und die Volksreferenden ebenso gehören wie die Bildung von drei staatlichen Banken für kleine Unternehmen und vor allem landwirtschaftliche Genossenschaften. Ein wenig mehr Gerechtigkeit in einer neoliberalen Welt, der Versuch zur Integration dort, wo bisher soziale Exklusion längst gesellschaftlich akzeptiert war. Deshalb finden sich gerade unter jenen, die mit Chavez ihre Hoffnung verbinden viele, die auch das Sozialforum unterstützen. Auf zahlreichen und nicht nur von den Indigenen getragenen Plakaten der Eröffnungsdemonstration stand die Forderung zur Integration. Sie verbinden die Idee des Forums: „eine andere Welt ist möglich“ mit der Hoffnung gesellschaftlicher Veränderung durch Chavez. Und so wie er selbst sehen diese Menschen ihn in der Tradition von Juan Perons nun gestärkt mit dem Sieg Evo Morales und der Unterstützung Kubas.
Kuba – das Land, das Symbol gegen neoliberale, imperiale Politik wird hier in Venezuela auf dem Forum gefeiert. Feierlich begrüßt werden die Companñeros aus Kuba mit ihren Fahnen und Transparenten unter den 15.000 Teilnehmern der Eröffnungsdemonstration unter dem Motto: „Gegen Krieg und Intervention“ ebenso wie die Teilnehmer aus den anderen lateinamerikanischen Ländern, Vertretern aus Asien, Afrika und Europa von über 2140 Organisationen. Ein munterer und fröhlicher Zug von Compañeros, mit Plakaten und Transparenten und natürlich Musik und Sprechchören. Aber es sind nicht nur weniger als in Porto Alegre. Neben der CUT aus Brasilien und Gewerkschaftern aus Kolumbien sind kaum Vertreter anderer Gewerkschaften zu sehen. Es fehlen auch die Bauernverbände und es fehlen die großen transnationalen NGOs, denen das Forum zu radikal sein soll. In Porto Alegre fühlte sich jeder eingeladen, erklärte eine Aktivistin aus Equador, die sich dort mit der Organisation von Friedensgemeinden befasst. Die zentralen Themen des Forums in Caracas machen das nicht deutlich. Fast symbolisch endete die Grossdemonstration auf dem Platz der Militärparaden der Stadt.
Die Plätze des Sozialforums liegen so, dass man am besten kostenlos mit der Metro zwischen Universidad, der Hauptachse Avenida Simon Bolivar, Theatre, dem Konferenzzentrum Hilton oder dem alten Flughafen von Caracas pendelt.
Die zentralen Themen sind der Kampf gegen die Militarisierung Lateinamerikas, vor allem der Kampf gegen die Militärbasen der USA, der Kampf für soziale Gerechtigkeit auch der Indigenen, der Kampf der Frauen und Kinder. Was sind die Alternativen zum Öl? Wie lassen sich Friedensprozesse gestalten und welche Erfahrungen gibt es, die es lohnt weiterzugeben? Der Kampf um natürliche Ressourcen ist ein Kampf um Menschenrechte verbunden mit der Frage der Zukunft von Gesellschaft einschließlich Arbeit. Wie bleibt man erfolgreich im Kampf um Wasser, Gas, Zugang zu Bildung und wie gestaltet man Prozesse demokratisch – eine Frage, die angesichts der permanenten Präsenz militärischer Gewalt und Willkür global, national und auch lokal weltweit stellt und in Lateinamerika eine eigene Geschichte hat. Und damit zusammen hängt das Gefühl der Angst, die existenziell wahrnehmbar wird in der Stadt eines offenen Forums, auf dessen Strassen man jedoch als Gast dieser Stadt sich nicht allein bewegen sollte.
Immer wieder stellt sich auch das Problem von Parteien und Bewegungen auch vor dem Hintergrund der Entwicklungen in Venezuela selbst, aber auch in Bolivien mit dem Sieg Evo Morales, Michelle Bachelet in Chile, den Entwicklungen in Argentinien unter Nesto Kirchner. Welche Optionen entwickeln sich unter diesen Bedingungen für eine gemeinsame Strategie der Linken in Lateinamerika? Eine Frage, die gerade hier auf dem Forum in Caracas auf vielen Podien gestellt wird, ist die Frage nach den konkreten Aufgaben von Parteien und sozialen Bewegungen. Haben Parteien noch immer ihre Berechtigung? Die Frage ist in Lateinamerika mit einem anderen Verständnis von Parteien verbunden als in Europa. Bisher war die PT nahezu die einzige bedeutende Partei, die nicht in Skandale und Korruptionsgeschichten verwickelt war. Aber das hat sich inzwischen geändert. Die indigenen Bewegungen in Bolivien zeigen, dass der neue Präsident Evo Morales nicht Produkt einer erfolgreichen Partei ist. Schließlich wird er getragen vom Bündnis sozialer Bewegungen in Bolivien und hier auf dem Forum in Venezuela von den sozialen Bewegungen Lateinamerikas und stürmisch begrüßt wird die Idee, ihn für den Friedensnobelpreis vorzuschlagen. Das galt auch einmal Lula, möchte man einwenden, aber das zählt hier, heute nicht. Er ist der Hoffnungsträger die Stimme der Indigenas von ganz Lateinamerika, der erste indigene Präsident ,wie sie sagen, mit einer Euphorie, die kaum Skepsis zulässt.
Aber einer darf: Oscar Olivera, der den Kampf gegen die Privatisierung des Wassers in Cochabama mitorganisierte und dessen Forderung zu sein wie das Wasser: „transparent und immer in Bewegung“ sich nun an den eigenen Präsidenten richtet. Er weiß, dass Morales nicht mit den neoliberalen Strukturen sprechen kann. Auch deshalb spricht er davon, dass die Verantwortung bei den sozialen Bewegungen bleibt. Denn der Einzelne kann irren. Klare einfache Sätze, die jeder versteht von einem Mann, der mitreißen kann und doch zurückhaltend bleibt.
Auch das ist wichtig an diesen Foren. Man trifft Menschen, die man gern wieder sehen möchte, von denen man ganz sicher zu Hause erzählen wird.