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Armut in Bayern: unterschätzt und vernachlässigt

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Erschienen

August 2023

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Geht es nach dem Sozialbericht der Bayerischen Staatsregierung ist Armut nur ein Randphänomen im Freistaat. Die Staatsregierung zieht den bundesweiten Vergleich heran und stellt Bayern als Vorbild da. Allerdings wird diese Statistik von Sozialverbänden und Experten häufig als Schönfärberei und Verschleierung der wahren Situation kritisiert.

Um die tatsächliche, oft „versteckte“ Armut in Bayern sichtbar zu machen und konkrete Aussagen über Armut in Bayern treffen zu können, hat der Kurt Eisner Verein / Rosa Luxemburg Stiftung Bayern eine Studie in Auftrag geben. Denn nur mit belastbaren Daten lassen sich auch konkrete Strategien zur Armutsbekämpfung entwickeln.

Die Studie mit dem Titel "Einkommensarmut und regionale Unterschiede in Bayern", erstellt von den Wissenschaftlern Hannah Busch, Simon Dudek, Andreas Kallert und Tobias Klinge, enthüllt alarmierende Fakten.

Die vorliegende Untersuchung soll dabei helfen, Fragen zu stellen und den Finger in die Wunden zu legen. Sie soll eine Datengrundlage für politische Programme sein, sie soll Fragen aufwerfen zur kritischen Durchleuchtung von Regierungshandeln, sie soll dabei helfen, den Fokus politischen Handelns auf die Bekämpfung von materieller Armut zu richten. Sie will politisches Bildungsmaterial für eine der zentralen gesellschaftlichen Fragen des 21. Jahrhunderts sein.

Als Herausgeberinnen und Herausgeber möchten wir auf einige zentrale Erkenntnisse hinweisen, die uns das Lesen dieser Studie gebracht hat.

  • Erstens versteckt sich die Armut in Bayern hinter einem statistisch höheren Durchschnittseinkommen, das aber für die „arbeitende Klasse“ häufig durch hohe Lebenshaltungskosten aufgefressen wird – insbesondere durch lange Wege in der Peripherie und hohe Mieten in den Zentren.
  • Die Verwirklichung des bayerischen Verfassungsziels, gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen, liegt zweitens in weiter Ferne.
  • Drittens muss Armut auf dem Land – insbesondere Altersarmut und Frauenarmut – die Tabuzone verlassen. Die Scham vieler Witwen, die nach konservativem Weltbild keine oder wenige Rentenpunkte gesammelt haben, vor dem Gang zum Amt, verdeckt ein Schattenreich der Altersarmut in Bayern. Hier braucht es wirkliche Unterstützung, um würdevolles Altern nicht zum Akt der Bittstellerei herabzusetzen, sondern als Menschenrecht auch durchzusetzen.
  • Die Überwindung von Kinderarmut ist viertens die Grundlage für eine freie Gesellschaft. Der Erzählung vom „Generationenkonflikt“ sollte entgegnet werden, dass es doch meist der Enkel einer armen Oma ist, der selbst in Armutsgefährdung lebt und dem die Oma nicht einmal zum Geburtstag einen größeren Wunsch erfüllen kann.
  • Armut ist fünftens immer auch der Reichtum des Nachbarn. Die Einkommensungleichheiten auf dem Land werden nicht gegen die Armutsbetroffenen in vermeintlich reichen Städten erkämpft, die Wohngeld beziehen, um überhaupt in der Stadt leben zu können. Die Ungleichheit in den Städten wird nicht gegen diejenigen erkämpft, die sich das Fertighaus in der Peripherie vom Mund absparen, weil sie sich keine Wohnung für ihre Familie in der Stadt leisten können.