Der Ad-hoc-Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien

Das UN-Tribunal im Schatten der internationalen Intervention. Heft Nr. 1. Von Jule Gilles.

Das UN-Tribunal im Schatten der internationalen Intervention.
Von Jule Gilles.

Neue Kritik aus Schule und Hochschule • Heft Nr. 1 • Juli 2001 Mit der Reihe Neue Kritik aus Schule und Hochschule bietet der Kurt-Eisner-Verein für politische Bildung in Bayern e.V. eine Möglichkeit,Arbeiten zu veröffentlichen, die im Zusammenhang der Schul-, Studien- oder Berufsausbildung, in der Gewerkschaftsjugend oder einem selbstorganisierten Arbeitskreis entstanden sind. Die bearbeiteten Themen sollten allgemein interessante Probleme behandeln, die im weiten Sinn politische Relevanz besitzen. Mit der Veröffentlichung in dieser Reihe erhalten die Autorinnen und Autoren die Chance, ihre oft aufwendig recherchierten Positionen einem breiteren Kreis vorzulegen. Für die Leserinnen und Leser werden kritische Anstrengungen, die sich für emanzipative Ziele einsetzen, nutzbar gemacht. So verschwinden Arbeiten nicht einfach in der Schublade, sondern erfahren die Kritik und Würdigung von Interessierten, die im Ausbildungsbetrieb leider nicht immer selbstverständlich ist.
 

Vorwort:

Der Versuch, eine internationale Straftgerichtsbarkeit durch Errichtung eines Gerichtshofs einzuführen, geht vor allem auf die Jahre nach Ende des II. Weltkriegs zurück. In seiner modernen Form und unter hohem Anspruch an die juristische Qualität fand er seinen Ursprung in den Kriegsverbrecher-Tribunalen von Nürnberg und Tokio. Diese von deutscher Seite immer noch häufig als „Siegerjustiz“ geschmähten Tribunale fanden, unter dem besonderen Umstand der Besetzung der Staaten der Täter und damit mit gewissen Zugriffsmöglichkeiten auf die Angeklagten versehen, unter mehrfacher Zielsetzung statt:
  • Eine unangreifbare Dokumentation tat angesichts der unfaßbarenVerbrechen Not, schon allein, um Entschädigungsansprüche belegbar zu machen. Die Verknüpfung dieser Verbrechen mit einer politischen bzw. staatlich sanktionierten Kriminalität musste festgehalten werden. Dadurch wurde – erstmalig ohne Strafmilderungsmöglichkeit oder gar Immunität für regierungsamtliche Personen – der Weg frei für die Erkenntnis, dass (staatliche) Politik überhaupt kriminalisierbar sein kann.
  • Die Nürnberger Prozesse waren gedacht als Pilotprozesse, die beispielhaft eine von deutscher Seite weiterzuführende juristische Aufarbeitung und Bestrafung der Nazi-Täter anschieben sollte. Diesen Anspruch kann man als gescheitert betrachten, da nach Beendigung der Arbeit des Tribunals die juristische Bearbeitung von Naziverbrechen in der BRD nur in den Fällen stattfand, die überhaupt nicht zu umgehen waren.
  • Über den konkreten Fall hinaus wurde von einigen Beteiligten darauf hingearbeitet, eine allgemeine internationale Strafgerichtsbarkeit vorzubereiten. Zu diesem Zweck wurden im Rahmen der Tribunale von Nürnberg und Tokio eigene Rechtskategorien entwickelt („Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, „Verbrechen gegen den Frieden“). Sie sind heute eine der Völkerrechtsgrundlagen für das Jugoslawien- Tribunal.
Allerdings kam der Prozeß zur Verallgemeinerung der internationalen Strafgerichtsbarkeit nach dem II. Weltkrieg schnell zum erliegen, u.a. wegen der Blockkonfrontation und den damit verbundenen Befürchtungen, ein Gerichtshof könnte in diesem Konflikt instrumentalisiert werden. Ausfluß der Kategorie der „Verbrechen gegen den Frieden“ ist u.a. das Angriffskriegs- Verbot im deutschen Grundgesetz. Versuche, eine Definition des Angriffskriegs in völkerrechtlicher Form verbindlich festzulegen, sind aber bisher gescheitert. Der Gründung des Ad-hoc-Tribunals für das ehemalige Jugoslawien ist sicher mit zu verdanken, dass in die Entwicklung zu einem allgemeinen Internationalen Strafgerichtshof wieder Schwung gekommen ist. Allerdings darf man seinen Einfluß insoweit nicht überschätzen, als die wichtigere Voraussetzung hierfür eine entsprechende politische Weltlage war und bleibt. Das Tribunal hat aber v.a. in statuarischer und verfahrenstechnischer Hinsicht klar Vorarbeit für den Vertrag von Rom zur Einführung eines IStGH geleistet. Dass in die Einführung einer Strafgerichtsbarkeit zur Pflege des humanitären Völkerrechts Bewegung gekommen ist, soll hier als positiver Aspekt der ICTY-Gründung festgehalten werden – allerdings bei einer mehr als zwiespältigen Ausrichtung der gesamten internationalen Interventionstätigkeit im ehemaligen Jugoslawien. Im Folgenden wird dieser konkrete Fall und die Auswirkungen, die er auf das Projekt der Strafgerichtsbarkeit auf der Basis des Völkerrechts hat, untersucht. Es wird hier davon ausgegangen, dass das humanitäre Völkerrecht eine Errungenschaft darstellt, die internationale Pflege verdient. Das bedeutet aber keineswegs, dass ausgerechnet der sühnende bzw. strafende Ansatz der Rechtsprechung hier im Vordergrund stehen sollte. Denn der ist – unabhängig davon, wie man ihn prinzipiell beurteilt – klar mit einem weit entwickelten politischen Gesamtsystem verbunden, wie es in der internationalen Gemeinschaft schwerlich vorausgesetzt werden kann. Genau dieser Aspekt hat sich in der öffentlichen Beurteilung des Jugoslawien-Tribunals aber als dominant herausgestellt. Hier spielt die Art der Einsetzung des Gerichtshofs durchaus eine Rolle. In der u.a. durch politische Rhetorik und Presseberichterstattung aufgeheizten Debatte um internationalen Eingriff in den Krieg in Bosnien-Herzegowina, die sich später, zumindest in der BRD, als Vorbereitung des Kriegseinsatzes entpuppte, lastete ein erheblicher Erwartungsdruck auf dem Tribunal. Als Maßnahme des UN-Sicherheitsrats nach Kapitel VII der Charta war es, praktisch betrachtet, stets in erster Linie Teil einer Intervention, dann erst ein Rechtsorgan – somit ein vornehmlich politisches Projekt, das juristische Mittel benutzt (das kommt auch in dem in diesem Zusammenhang geprägten Wort der „Juristischen Intervention“ zum Ausdruck). Diese de facto-Rolle wurde aber meist – nicht zuletzt vom Tribunal selbst – zu verdrängen versucht. Am konkreten Fall, so wird argumentiert werden, sind Chancen auf eine präventive Wirkung der Kriminalisierbarkeit von Politik, wie sie von einer Verankerung der Grundsätze des humanitären Völkerrechts im kollektiven, internationalen wie nationalen Bewußtsein ausgehen könnte, vergeben oder sogar regelrecht vermauert worden. Ausschlaggebend für diese Einschätzung ist v.a. die Wahrnehmung der Arbeit des ICTY im ehemaligen Jugoslawien. Die Schwierigkeiten mit einer völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit, deren v.a. militärisch durchgesetzte Sanktionsfähigkeit im Vordergrund steht, weisen aber durchaus auf allgemeine strukturelle Defizite hin. Dennoch liegt in der juristischen Aufarbeitung von Kriegsgeschehen eine Chance: Kleinlich und mühselig kann so – von Anklage und Verteidigung – zusammengetragen werden, was vorgefallen ist. Allerdings muss, beispielsweise im Fall Jugoslawien, dafür gesorgt sein, dass auf die Interventionsmächte Druck ausgeübt wird, über von ihnen ausgelöste oder in Kauf genommene Entwicklungen, ganz zu Schweigen von durch sie begangenen Taten, Rechenschaft abzulegen. Das ist bereits einmal, anläßlich eingehender Anzeigen gegen die NATO 1999, versäumt worden, als ausschließliche Grundlage der Ermittlungseinstellung durch das Tribunal die unbelegten Darstellungen der NATO selbst waren. Voraussetzung dafür, dass so gewonnene Erkenntnisse abrufbar und verarbeitbar sind, ist also, dass das Gericth von eine kritische Öffentlichkeit vorfindet, da solch ein Organ sonst durchaus Gefahr läuft, ein Erfüllungsgehilfe zu sein. Dass diese Dokumentationsarbeit nicht von legalistischen Argumentationen überdeckt werden sollte, wäre ein v.a. politisch motivierter Anspruch, der juristische Fragen weitgehend ausblendet. Dieser Anspruch führt aber zu der Auffassung, dass nun ausgerechnet mit dem zähen Aufbau eines internationalen Rechtsempfindens keine Provokationen allererster Güte (wie z.B. durch offene Völkerrechtsbrüche) untrennbar verbunden sein dürfen. Selbstgerechtigkeit verträgt sich mit der juristischen Gerechtigkeit eben schlecht – das gilt für alle Seiten, ganz besonders aber für die, die im langwierigen Prozeß der Durchsetzung eines humanitären Politikanspruchs einen Schritt nach vorne machen wollen. Jule Gilles, München, 28. Juni 2001