Interview mit Hans van Heijningen, Generalsekretär der SP Niederlande am 12.4.2007

Vorbemerkung

Zu den Aufbrüchen der Linken in Europa gehört neben der Herausbildung der Partei Die LINKE in Deutschland der fortdauernde Aufstieg der Sozialisten Partei der Niederlande.
1972 hatte sich die Socialistische Partij (SP) als maoistische Kommunistische Partei gegründet und gehörte zunächst zu den kleineren linken Splitterparteien, die sich 1991 von ihrer marxistisch-leninistisch Tradition abgewendet hat. Mit einem Ergebnis von 16,6% bei der letzten Parlamentswahl im November 2006 ist sie die drittstärkste Kraft im Land und besetzt 25 von 150 Abgeordnetenmandaten. Nach den am 07. März abgehaltenen Wahlen 2006 in 12 Provinzial-Parlamenten sind nunmehr auch die kommunalen Mandate auf 83 (von 564) gestiegen. Dies wird bei den Wahlen für die erste Kammer (kontrolliert das Parlament, 2. Kammer) im Mai dazu führen, dass dort die Mandate von 4 auf 12 anwachsen werden. In der Fraktion der GUE/NGL (Konföderale Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/Nordisch Grüne Linke) sitzen derzeit 2 Abgeordnete der SP, was sich aber sicher nach der nächsten Wahl zum Europaparlament 2009 ändern wird. Die SP ist auf kommunaler Ebene in Koalitionen eingebunden wie z.B. in Nimwegen, wo die Busgesellschaft privatisiert wurde. Auch für sie stellt sich die Frage, welche Spielräume es auf kommunaler Ebene für eine alternative linke Politik gibt, in welchem Maße es möglich ist, neoliberaler Politik mit dem Ziel des Um- und Abbaus öffentlicher Daseinsvorsorge, öffentlicher Güter gegenzusteuern. Die für uns wohl interessanteste Entwicklung neben den hohen Wahlergebnissen ist aber die wachsende Zahl der Mitgliedschaft. Allein in der Zeit von Herbst 2006 bis März 2007 ist die Mitgliederzahl von 48.934 auf über 52.000 gestiegen. Was macht diese Partei so interessant und fördert die Bereitschaft, sich politisch zu engagieren?
Im Gegensatz zur Linkspartei ist die Sozialistische Partei der Niederlande allerdings kein Mitglied der Europäischen Linkspartei, auch nicht mit Beobachterstatus, wie die Deutsche Kommunistische Partei. Ist der Welt der globalisierten Wirtschaft und des Kapitals nicht eine einige und starke globalisierte Linke entgegenzusetzen? Kann man in der heutigen Zeit als politisch engagierter Mensch nur im nationalen Rahmen agieren oder sollte man nicht gemeinsame Konzepte entwickeln, die der weltweiten Entwicklung entgegengesetzt werden? Hans van Heijningen; ehemaliger Hausbesetzer, langjähriger Entwicklungshelfer in Nikaragua und El Salvador - und ist heute Generalsekretär der Sozialisten Partei. Mit dem Logo einer roten Tomate mit herausgeschnittenem Stern kennzeichnet sich die Partei als Protestbewegung. Einst diente sie als Wurfgeschoss von links nach rechts um Zeichen zu setzen gegen das Establishment, hat sie heute vielmehr einen Design-Wert und findet sich auf T-Shirts und Taschen wieder.
Die Sozialistische Partei der Niederlande definiert den Sozialismus mit 3 Begriffen: Menschenwürde, Gleichwertigkeit und Solidarität. Ist eine so verkürzte Definition ausreichend? Ist unser Ziel den Kapitalismus im Sinne der Arbeiterklasse bestmöglich zu verwalten oder müssen wir nicht einen Weg aufzeigen, den Kapitalismus in einem transformatorischen Prozess zu überwinden?

Interview

Hallo Hans,
vielen Dank für Dein Kommen und für die lehrreiche Diskussion. Wir haben erfahren können, wie die SP es geschafft hat, so erfolgreich zu werden, und freuen uns mit Euch über Eure Erfolge. Jetzt möchten wir noch ein paar kritischere Fragen stellen, um die Socialistische Partij (SP) besser zu verstehen. Bist Du bereit? Frage: Wie sieht die soziale Zusammensetzung der SP aus, insbesondere die Entwicklung bei den Neumitgliedern? (Nach unserer Kenntnis war die SP in der Vergangenheit z. B. im akademischen Milieu eher schwach vertreten, aber hier scheinen sich gerade Veränderungen anzubahnen.) Wir haben im Februar letzten Jahres eine Untersuchung gemacht: wir sind, Einkommen, Lebensalter und Ausbildung als Kriterien genommen zeigen, ein Spiegel der holländischen Gesellschaft. In Holland gibt es außerdem 10% Migranten aus nichteuropäischen Ländern, sind aber in der Partei relativ schlecht vertreten. Bei den Wahlen hatten wir jedoch einen großen Durchbruch erzielt. Traditionell waren Migranten stark sozialdemokratisch orientiert. Vor einigen Jahren war die Mehrheit in der Mitgliedschaft ökonomisch die Unterschicht. Zwischenzeitlich sind Mittelschicht und Akademiker stärker repräsentiert. Frage: Wie ist die besondere Attraktivität von lokaler Parteiarbeit, also der Arbeit der SP vor Ort, zu erklären? (Diese Ausrichtung scheint eine Besonderheit der SP zu sein; es wird von SP-Vertretern auch gelegentlich betont, dies sei der „Schlüssel zu ihrem Erfolg“.) Wir sind eine linke Alltagspartei, so jedenfalls hat uns Lothar Bisky bezeichnet. Ausgangspunkt sind die Bedürfnisse und Sorgen der gewöhnlichen Leute. Wir ergreifen auf praktische Weise Initiativen. Das soll auch die Basis unserer Repräsentanten in Gemeinden und im Parlament sein. So kann man erfolgreich arbeiten und die Leute politisieren. Wir haben eine Parteistruktur entwickelt, die es für Arbeiter und Handwerker und nicht nur für Akademiker attraktiv macht, bei uns mitzuarbeiten. Frage: Wird die Kapitalismuskritik der SP mit sozialistischen Vorstellungen verbunden? Gibt es in der SP Systemüberwindende Vorstellungen? Ich glaube, der Mangel vieler europäischer Linker ist ihr betont ideologisches uns schwach praktisch entwickeltes Politikkonzept. Man reduziert Politik auf den Verkauf langfristiger Ideale. Die Leute haben mit ihrem Zweifel recht, wenn ihnen eine kleine politische Partei das sozialistische Paradies erklärt. Wir sind an Theorie interessiert, um unsere gegenwärtige Lage zu bestimmen und was wir in den nächsten Jahren machen müssen. Dies geschieht aufgrund einer linken politischen Ideologie und der Prinzipien der Menschenwürde, der Gleichheit und der Solidarität. Die Diskussion über Reform und Revolution ist ideologisch interessant, hat aber in der Gegenwart nur eine begrenzte Bedeutung. Im Vulgärmarxismus ist der Übergang von Kapitalismus zum Sozialismus eine historische Zwangsläufigkeit. Die SP hat kein Rezept dafür, wie die Zukunft aussieht. Aber unabhängig davon sind wir am besten vorbereitet, wenn unsere Partei in der Gesellschaft verwurzelt ist. Frage: Gelingt es der SP, öffentliche Diskurse zu beeinflussen? Gibt es dafür Beispiele? Bestes Beispiel ist die Kampagne für die europäische Verfassung. Es ist uns gelungen, dass die holländische Gesellschaft in der Auseinandersetzung mit anderen politischen Kräften das ganze Establishment in Frage stellt. Ich spielte eine Rolle in der strategischen Ausrichtung mit der Meinung, dreißig Prozent auf unsere Seite zu bringen. Wenn aber der Druck von der anderen Seite immer größer wird (Behauptungen und Werbespots von Vertretern des großen Establishments: Massenarbeitslosigkeit, Krieg in Europa, keine Elektrizität mehr, Konzentrationslager, wenn das Nein zur europäischen Verfassung gewinnt), dann wird die Verunglimpfung auf die Spitze getrieben und überzogen dramatisiert. Ergebnis war, dass zwei Drittel der Bevölkerung Nein gesagt haben. Wir waren damals die größte der kleinen Parteien mit großem Abstand zu den führenden Parteien (9 von 150 Abgeordneten), die Bevölkerung hat in den Wahlen von 2006 und 2007 uns bestätigt. 2006 zogen 25 Abgeordnete ins Nationalparlament ein, Anfang März bei den Provinzwahlen hatten wir prozentual die gleich großen Erfolge, rund 16% der Stimmen. Frage: Wie sind die migration- bzw. integrationspolitischen Vorstellungen der SP? (Dieses Thema dürfte in den Niederlanden gerade an der Diskussion um den Islam in christlich geprägten, europäischen Gesellschaften besondere Bedeutung haben.) Die SP hat Ende der 70ziger Jahre die misslungene Integrationspolitik ins Gesprächgebracht. Damals war es eine der traumatischen Erfahrungen für die Kader der Partei, beschimpft zu werden von  liberal bis linksradikalen Kräften. Es war damals ein Tabu. Die SP wurde mit Rechtsextremen in einem Atemzug genannt. Seitdem hat eine Spaltung stattgefunden mit weißen und schwarzen Vierteln. Armut und soziale Ausgrenzung hat jetzt eine Farbe. Die Politik muss den Rahmen schaffen, damit Integration in einer Sphäre der Freiwilligkeit und Fröhlichkeit stattfindet (Wohnung, Schule, Arbeit). Die Probleme sind eher gewachsen. Das heißt, dass die Politik Hindernisse zur Integration beseitigen muss und wir den Emigranten anbieten müssen, sich für ihre eigne Emanzipation einzusetzen. Das entspringt der Idee, dass der Staat Bedingungen schaffen muss, aber dass Bürger ihre eigene Verantwortung für ihr Lebensglück haben. Der Staat kann die Menschen nicht zum Glück zwingen. Frage: Angesichts der wachsenden Stärke der SP wird eine Regierungsbeteiligung wahrscheinlicher. Wie wird diese Frage in der SP diskutiert? Der Erfolg der SP – nach 13, 14 erfolgreichen Wahlen seit 1994, hat einen Optimismus hervorgebracht, dass nicht die Frage steht ob, sondern nur wann wir auf allen Ebenen mitbestimmen werden. Die drei großen Parteien in Holland sind sich einig, dass es nicht wünschenswert ist. Die Christdemokraten und Sozialdemokraten haben vor kurzem eine neue Regierung gebildet und das auf der Basis der Übereinstimmung, eine politische Partizipation der SP ist unerwünscht. Der sozialdemokratische Führer Wolter Bos hat die Zukunft seiner Partei damit aufs Spiel gesetzt. Trotz der Vorschusslorbeeren der Medien auf die neue Regierung zeigen die Meinungsbefragungen, dass die SP in der Wählergunst die Sozialdemokraten überholt hat und innerhalb der Sozialdemokraten der Druck auf Bos wächst zurückzutreten. Durch die Ausgrenzung der drei großen Parteien bestimmen wir trotz dieses Drucks in 20 Gemeinden seit 2006 mit. Die interessante Erfahrung ist, dass wir in den Gemeinden, in denen wir seit 2002 mitregieren, noch mehr Vertrauen in der Bevölkerung gewonnen haben. Frage: Wird die SP die Sozialdemokratie (die PvdA) als stärkste „linke“ Kraft in den Niederlanden ablösen? Welche Folgen wird das für die SP und die niederländische Gesellschaft und Politik haben? Die erste Frage ist beantwortet. Die Folge: Mit und für die Leute Perspektiven auszuarbeiten, wird immer erfolgreicher. Damit werden die Luxusprobleme immer größer werden.  Wir haben keine Rezepte, sondern mehr Fragen als Antworten. Aber die größte Stärke ist unsere politische Glaubwürdigkeit und das Engagement von zurzeit 52000 Mitgliedern. Frage: Du warst von 1984 bis 1992 in Nicaragua. Wie und wie stark haben sich, Deiner Meinung nach, diese Zeit und dieser Aufenthalt auf Deine Ideen zur Arbeit vor Ort und zur Mitgliederentwicklung ausgewirkt? Ich möchte nicht pathetisch sein, aber wenn man mehrere Jahre sozialistische Politik macht und berät und dies in einer Lage der Konfrontation auf Leben auf Tod, gibt es für anständige Leute nur zwei Optionen: Resignation oder weiterkämpfen. Ich habe mich für das zweite entschieden. Eine „modern Form of second life“.
Das Interview führte Jochen Ahleff (München) im Auftrag des Kurt-Eisner-Vereins für politische Bildung in Bayern e.V. am Rande einer Diskussionsveranstaltung mit Hans van Hejningen in München