Verläßlichkeit in Lollar
Der Landesparteitag der LINKEN in Hessen gibt den Weg zur Tolerierung von rot-grün frei. Bericht von Andreas Thomsen.
Der Landesparteitag der LINKEN in Hessen gibt den Weg zur Tolerierung von rot-grün frei. Bericht von Andreas Thomsen.
Am Wochenende vom 29. bis 31.8. kam die hessische LINKE zu ihrem Landesparteitag in Lollar bei Gießen zusammen. Ein Ort, nicht ganz ohne symbolische Bedeutung. 1983 beschlossen die hessischen Grünen hier ihre Zustimmung zur ersten rot-grünen Koalition auf Landesebene. Die LINKE kam gut ein Jahr nach ihrer Gründung nach Lollar, eher überraschend war der Partei im Winter mit 5,1 Prozent der Einzug in den Landtag gelungen, seither regiert in Hessen eine kommissarische Regierung Koch gegen mal eine rot-grün-rote, im Zweifel aber wechselnde Mehrheit in Wiesbaden. Seit nun Frau Ypsilanti im Sommer zu einem neuen Sprung in die Staatskanzlei ansetzte, stieg die Spannung auch wieder für die hessische Linksfraktion und ihre Partei. Wie sehr die Anspannung gewachsen war, ließ sich anlässlich einer Pressekonferenz der Linksfraktion und Parteispitze am 25.8. betrachten. Leitantrag und Positionspapier zur Vorlage auf dem Landesparteitag sollten vorgestellt werden. Doch Widersprüche taten sich auf, ganz offensichtlich war man sich uneinig in der Frage, ob vor der Wahl von Frau Ypsilanti durch die Linksfraktion die Mitglieder der Partei befragt werden sollten oder müssten. Auch, ob eine verbindliche und schriftliche Tolerierungsvereinbarung ausgehandelt werden solle, schien umstritten. Ferdinand Hareter, stellvertretender Vorsitzender der LINKEN in Hessen hielt noch in dieser Woche vor dem Parteitag offen, ob er gegen den bisherigen Landesvorsitzenden Ulrich Wilken antreten werde. Wilken hatte nach der Landtagswahl und seinem Einzug in den Landtag seine Parteifunktion zunächst niedergelegt, um dem Landesparteitag zu überlassen, ob das Amt des Vorsitzenden und ein Landtagsmandat voneinander zu trennen seien. Hareter hatte zudem vor dem Parteitag geäußert, eine verbindliche Tolerierungsvereinbarung mit rot-grün lehne er ab.
Es gab also vor dem Parteitag von Lollar durchaus Grund zur Annahme, der Parteitag der LINKEN werde von scharfen inhaltlichen und personellen Auseinandersetzungen dominiert sein. Tatsächlich jedoch fand in Lollar ein eher unaufgeregter Parteikongress statt und insbesondere die Frage der Regierungsbildung in Hessen wurde durch den Parteitag sachlich diskutiert und schließlich mit überwältigenden Mehrheiten beschlossen.
Bereits am Freitagabend standen Satzungsfragen auf dem Programm. Hier lagen einige Anträge vor, scharfe Regelungen zur Trennung von Ämtern und Mandaten zu fassen. Dies kann als der Versuch, eine statuarische Vorentscheidung der Wahl des Sprechers des Landesverbandes herbeizuführen, bewertet werden. Denn Ferdinand Hareter, der Gewerkschaftssekretär aus Hanau hatte mittlerweile entschieden, gegen Ulrich Wilken – Mitglied des hessischen Landtags – anzutreten. Doch die Delegierten lehnten alle Versuche, diese Personalie über eine Satzungsregelung zu entscheiden, ab.
Für den zweiten Tag, den Tag der inhaltlichen und personellen Entscheidungen, war Oskar Lafontaine nach Lollar angereist. In seiner Rede beschrieb er die inhaltlichen Vorstellungen der LINKEN und der SPD in Hessen als in Kernpunkten recht deckungsgleich und wies darauf hin, dass hessische Vorhaben sei einzuordnen in das Gesamtprojekt der neuen Partei. Ein Erfolg habe Auswirkungen auf Länder über Deutschland hinaus. Er machte aber auch deutlich, man müsse sich darüber bewusst sein, mit 5,1 Prozent „nicht die gesamte Politik bestimmen [zu] können.“ Und nannte schließlich drei Essentials, die für das weitere Handeln der Partei in Hessen entscheidend sein sollten: Kein Personalabbau im öffentlichen Dienst, keine Privatisierungen, keine Sozialkürzungen.
Im Anschluss wurden sämtliche Leitanträge vertagt, das einzig zu beschließende Papier war ein Initiativantrag des Landesvorstandes, der einige inhaltliche Positionen der Partei bestimmte, mit denen in Verhandlungen zu gehen sei. Anträge, die Verhandlungen mit dem Ziel einer verbindlichen und längerfristigen Vereinbarung mit SPD und Grünen verhindern wollten, scheiterten an überwältigenden Mehrheiten. Fraktion und ein Teil des geschäftsführenden Landesvorstandes wurde die Aufgabe übertragen, mit den politischen Positionen von Lollar in Verhandlungen mit Grünen und SPD zu treten, Ergebnis solle dann eine verbindliche Vereinbarung sein, die – auch dies wurde in Lollar beschlossen – zunächst durch Regionalkonferenzen diskutiert und dann in einem Mitgliederentscheid abgesegnet werden solle. Ob jene 30 Spiegelstriche, die von der Abschaffung von 1-Euro-Jobs in Hessen über die Ablehnung der Ausbaupläne der Flughäfen Kassel und Frankfurt bis zu einer Bundesratsinitiative Hessens zur Abschaffung der „Hartz-IV“-Gesetze reichen, nun Essentials oder eine Wunschliste darstellen sollen, blieb auf dem Parteitag allerdings offen.
In der anschließenden Wahl des Vorsitzenden (Ulrike Eifler hatte ihre Wahl zur Vorsitzenden ohne Gegenkandidatin zuvor souverän gewonnen) setzte sich der bisherige Vorsitzende Ulrich Wilken im ersten Wahlgang mit der denkbar knappsten Mehrheit von 91 von 180 Stimmen gegen Ferdinand Hareter durch.
Einer der stellvertretenden Landesvorsitzenden wurde Manfred Coppik, der von 1972 bis 1983 für die SPD im Bundestag saß und nach seinem Austritt Mitbegründer der Demokratischen Sozialisten wurde. Ebenfalls mit großer Mehrheit wurde Pit Metz in den erweiterten Vorstand gewählt, er war 2007 für einige Tage Spitzenkandidat zur hessischen Landtagswahl gewesen. Nachdem seine Äußerungen zum DDR-Grenzregime in die Kritik geraten waren, war er von der Spitzenkandidatur zurückgetreten.
Am erstaunlichsten an diesem Parteitag der LINKEN in Hessen ist sicherlich die fast völlige Abwesenheit einer lebhaften und kontroversen Debatte über die Strategie von Partei und Fraktion. Einige wenige Stimmen unter den Delegierten wiesen zwar auf eine grundsätzliche Ablehnung von Regierungsbeteiligungen hin, formulierten, man wolle keine Kröten schlucken, ohne aber freilich irgendeines dieser Tiere bislang zu Gesicht bekommen zu haben. Aber eine Auseinandersetzung darüber wie die Forderung des Parteivorsitzenden, eine Politik zu machen, „die die Lage der Menschen verbessert“ nun und in Zukunft auch in Hessen umgesetzt werden solle, fand dann doch eher außerhalb der Parteitagsdebatte statt. Etwa bei der Wahl des Landesvorsitzenden, die im Rückblick wahrscheinlich die interessanteste Entscheidung von Lollar darstellt. Und auch wenn Sorge über den stetig wachsenden Einfluss von Fraktionen und ihren Apparaten durchaus angebracht sein mag, in der konkreten Lage in Hessen stellt die enge Verzahnung von Fraktionstätigkeit und Landesvorstand in der Person Ulrich Wilkens sicherlich einen Vorteil für Handlungs- und Verhandlungsfähigkeit dar. Die Zukunft der Partei entscheidet sich auch und insbesondere darin, wie sie und ihre Abgeordneten den oberflächlichen Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Opposition und parlamentarisch-administrativer Verantwortung aufzulösen verstehen – dazu aber kann und wird mehr nötig sein, als die Verlagerung strategischer Fragen auf Personalentscheidungen. Denn die Debatte beginnt erst. Andreas Thomsen, 3.9.2008
Es gab also vor dem Parteitag von Lollar durchaus Grund zur Annahme, der Parteitag der LINKEN werde von scharfen inhaltlichen und personellen Auseinandersetzungen dominiert sein. Tatsächlich jedoch fand in Lollar ein eher unaufgeregter Parteikongress statt und insbesondere die Frage der Regierungsbildung in Hessen wurde durch den Parteitag sachlich diskutiert und schließlich mit überwältigenden Mehrheiten beschlossen.
Bereits am Freitagabend standen Satzungsfragen auf dem Programm. Hier lagen einige Anträge vor, scharfe Regelungen zur Trennung von Ämtern und Mandaten zu fassen. Dies kann als der Versuch, eine statuarische Vorentscheidung der Wahl des Sprechers des Landesverbandes herbeizuführen, bewertet werden. Denn Ferdinand Hareter, der Gewerkschaftssekretär aus Hanau hatte mittlerweile entschieden, gegen Ulrich Wilken – Mitglied des hessischen Landtags – anzutreten. Doch die Delegierten lehnten alle Versuche, diese Personalie über eine Satzungsregelung zu entscheiden, ab.
Für den zweiten Tag, den Tag der inhaltlichen und personellen Entscheidungen, war Oskar Lafontaine nach Lollar angereist. In seiner Rede beschrieb er die inhaltlichen Vorstellungen der LINKEN und der SPD in Hessen als in Kernpunkten recht deckungsgleich und wies darauf hin, dass hessische Vorhaben sei einzuordnen in das Gesamtprojekt der neuen Partei. Ein Erfolg habe Auswirkungen auf Länder über Deutschland hinaus. Er machte aber auch deutlich, man müsse sich darüber bewusst sein, mit 5,1 Prozent „nicht die gesamte Politik bestimmen [zu] können.“ Und nannte schließlich drei Essentials, die für das weitere Handeln der Partei in Hessen entscheidend sein sollten: Kein Personalabbau im öffentlichen Dienst, keine Privatisierungen, keine Sozialkürzungen.
Im Anschluss wurden sämtliche Leitanträge vertagt, das einzig zu beschließende Papier war ein Initiativantrag des Landesvorstandes, der einige inhaltliche Positionen der Partei bestimmte, mit denen in Verhandlungen zu gehen sei. Anträge, die Verhandlungen mit dem Ziel einer verbindlichen und längerfristigen Vereinbarung mit SPD und Grünen verhindern wollten, scheiterten an überwältigenden Mehrheiten. Fraktion und ein Teil des geschäftsführenden Landesvorstandes wurde die Aufgabe übertragen, mit den politischen Positionen von Lollar in Verhandlungen mit Grünen und SPD zu treten, Ergebnis solle dann eine verbindliche Vereinbarung sein, die – auch dies wurde in Lollar beschlossen – zunächst durch Regionalkonferenzen diskutiert und dann in einem Mitgliederentscheid abgesegnet werden solle. Ob jene 30 Spiegelstriche, die von der Abschaffung von 1-Euro-Jobs in Hessen über die Ablehnung der Ausbaupläne der Flughäfen Kassel und Frankfurt bis zu einer Bundesratsinitiative Hessens zur Abschaffung der „Hartz-IV“-Gesetze reichen, nun Essentials oder eine Wunschliste darstellen sollen, blieb auf dem Parteitag allerdings offen.
In der anschließenden Wahl des Vorsitzenden (Ulrike Eifler hatte ihre Wahl zur Vorsitzenden ohne Gegenkandidatin zuvor souverän gewonnen) setzte sich der bisherige Vorsitzende Ulrich Wilken im ersten Wahlgang mit der denkbar knappsten Mehrheit von 91 von 180 Stimmen gegen Ferdinand Hareter durch.
Einer der stellvertretenden Landesvorsitzenden wurde Manfred Coppik, der von 1972 bis 1983 für die SPD im Bundestag saß und nach seinem Austritt Mitbegründer der Demokratischen Sozialisten wurde. Ebenfalls mit großer Mehrheit wurde Pit Metz in den erweiterten Vorstand gewählt, er war 2007 für einige Tage Spitzenkandidat zur hessischen Landtagswahl gewesen. Nachdem seine Äußerungen zum DDR-Grenzregime in die Kritik geraten waren, war er von der Spitzenkandidatur zurückgetreten.
Am erstaunlichsten an diesem Parteitag der LINKEN in Hessen ist sicherlich die fast völlige Abwesenheit einer lebhaften und kontroversen Debatte über die Strategie von Partei und Fraktion. Einige wenige Stimmen unter den Delegierten wiesen zwar auf eine grundsätzliche Ablehnung von Regierungsbeteiligungen hin, formulierten, man wolle keine Kröten schlucken, ohne aber freilich irgendeines dieser Tiere bislang zu Gesicht bekommen zu haben. Aber eine Auseinandersetzung darüber wie die Forderung des Parteivorsitzenden, eine Politik zu machen, „die die Lage der Menschen verbessert“ nun und in Zukunft auch in Hessen umgesetzt werden solle, fand dann doch eher außerhalb der Parteitagsdebatte statt. Etwa bei der Wahl des Landesvorsitzenden, die im Rückblick wahrscheinlich die interessanteste Entscheidung von Lollar darstellt. Und auch wenn Sorge über den stetig wachsenden Einfluss von Fraktionen und ihren Apparaten durchaus angebracht sein mag, in der konkreten Lage in Hessen stellt die enge Verzahnung von Fraktionstätigkeit und Landesvorstand in der Person Ulrich Wilkens sicherlich einen Vorteil für Handlungs- und Verhandlungsfähigkeit dar. Die Zukunft der Partei entscheidet sich auch und insbesondere darin, wie sie und ihre Abgeordneten den oberflächlichen Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Opposition und parlamentarisch-administrativer Verantwortung aufzulösen verstehen – dazu aber kann und wird mehr nötig sein, als die Verlagerung strategischer Fragen auf Personalentscheidungen. Denn die Debatte beginnt erst. Andreas Thomsen, 3.9.2008