Was war die WASG? – offene Diskussion zu halboffen gestellter Frage

Bericht zum sechsten werkstattgespräch in München. Von Johannes Kakoures

Im Rahmen der Werkstattgespräche, über die wir zuletzt regelmäßig berichteten, wagte sich der Kurt-Eisner-Verein an ein nicht ganz ungefährliches Thema. So wurde der Politikwissenschaftler Christian Schiffer, zunächst Vorsitzender des Kreisverbandes München der Jusos, später WASG-Mitglied und auch dort im Kreisvorstand, mittlerweile aus beruflichen Gründen aus der Partei ausgetreten, zur scheinbar historischen Fragestellung, was die WASG gewesen sei, eingeladen. Schiffer konnte hierzu nicht nur als unmittelbarer Akteur dieses Prozesses berichteten, vielmehr hat er sich im Rahmen seiner Diplomarbeit unter dem Titel „Die Partei Arbeit und soziale Gerechtigkeit – Gewerkschaftliche Interessenvertretung oder Partei der neuen politischen Linken?“ wissenschaftlich mit dem Thema auseinandergesetzt. Die WASG – Schon historisches Objekt? Dies erleichterte wohl die gestellte Aufgabe, deren Gefahr darin liegt, dass die Entwicklung der WASG, auch wenn es sie in dieser Form nicht mehr gibt, mitnichten abgeschlossen ist. Noch kann die Parteibildung der Linken nicht als vollendet gelten, sind noch zu viele Fragen offen. Wie problematisch es nun ist, fortlaufende Prozesse geschichtlich zu betrachten, sieht man u.a. daran, dass es zur Geschichte der sog. K-Gruppen, kein wirklich anerkanntes Werk gibt, in Teilen auch an der weiteren Aspekten der aktuellen Diskussion über die „68-er“, in der das konservative Interesse an einer Umdeutung historischer Vorgänge um für heute politisches Kapial daraus zu schlagen, unübersehbar ist. Solange die Akteure einer bestimmten Phase noch voll im Geschehen sind, ist es schwierig politische Stellungnahmen zugunsten einer möglichst objektiven Beschreibung, einem Ideal, dass zumindest in den Geisteswissenschaft eh als unerreichbar gilt, zurücktreten zu lassen. Dies gilt umsomehr, wenn die zu betrachtenden Entwicklungen noch so nahe sind, dass man nicht davon sprechen kann, dass etwaige fortwirkende Traditionslinien den vermeintlich geschichtlichen Gegenstand für die Gegenwart interessant werden lassen, wie dies bei fast allen historischen Debatten der Fall ist, sondern das geschichtliche Subjekt selbst noch als vorhanden gelten muss. Da vor diesem Hintergrund klar wird, dass eine parteinahe Beschäftigung mit der WASG in erster Linie aktuelle Fragestellungen zum Gegenstand hat, wäre der ehrlichere Titel trotz ihres offiziellen Verschwindens in der LINKEN wohl gewesen: Was ist die WASG? Entwicklung der WASG Schiffer gelang es trotz der beschriebenen Schwierigkeiten mit einem sehr sachlichen Vortrag entscheidende Aspekte darzustellen und lieferte somit einige wichtige Informationen für die aktuelle Stragetiediskussion in und um die LINKE. Ausgehend von der Fragestellung seiner Diplomarbeit, ob die WASG eine reine Gewerkschaftspartei oder vielmehr eine der oder zumindest für die neuen, sozialen Bewegungen war, stellte Schiffer zunächst klar, dass die Wurzeln wohl in beiden Bereichen zu suchen seien. Die Bildung der WASG sei Reaktion auf eine Lücke im Parteiensystem, die darauf zurückzuführen sei, dass bestimmte Gesellschaftsgruppen durch die Politik nicht mehr repräsentiert gewesen seien, was sich auch theoretisch untermauern lasse. Ursache hierfür sei wiederum der programmatische Wandel der SPD, der sich bereits seit den 80`er Jahren verfolgen lasse und sich kurz nach dem Regierungsantritt 1998 zugespitzt habe. Entscheidender Ausschlag war dann, wie bekannt, die Agenda 2010-Politik Gerhard Schröders. Man dürfe jedoch auch den nach Ansicht Schiffers gescheiterten Westaufbau der PDS nicht vergessen. Bereits früh lassen sich bestimmte Debatten nachweisen, die auch heute noch den Hintergrund für aktuelle Konflikte bilden. So erschienen bereits 2002 erste Artikel in der Zeitschrift „Sozialismus“, die sich für eine Parteigründung aussprachen, während die maßgebliche Tendenz unter kritischen Gewerkschaftern noch dahin ging, durch eine stärkere Zusammenarbeit mit den neuen, sozialen Bewegungen, wie attac, Einfluss auf die Politik zurückzugewinnen. Erst 2003 setzte sich die Überzeugung durch, dass ein „politischer Adressat“ nötig sei. Dieser Konflikt lasse sich  auch bei den zwei Ursprungsorganisationen der WASG nachzeichnen. So wurde der Verein ASG, vor allem von in Bayern tätigen Gewerkschaftern der mittleren Funktionärsebene gegründet und drängte in erster Linie auf politische Repräsentanz während die sog. Wahlalternative zwar auch aus dem gewerkschaftlichen Milieu entstand, jedoch vor allem Akteure um die Zeitschrift Sozialismus, wie Joachim Bischoff, aktivierte und von Anfang an so etwas wie ein „linksozialistisches Dreieck“ aus Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und Intellektuellen bildete und anstrebte. Dies bilde auch die Ursache für Folgekonflikte, wie der Frage des Umgangs mit der Organisation „Linksruck“ und spiegele sich in Äußerungen, wie jener des mittlerweile der Bundestagfraktion der LINKEN angehörenden Klaus Ernst wonach „wer für alles offen, auch nicht ganz dicht ist“. Auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung umfasste die WASG ca.12000 Mitglieder, die in ihrer Zusammensetzung jedoch weitere Probleme bargen, so bestand die Mitgliedschaft zu 77% aus Männern, die meisten, fast zwei Drittel im Alter zwischen 40 und 60 Jahren. Das WASG-Programm und die neue LINKE – Autorität gegen Liberalität? In Hinblick auf laufende Debatten ist natürlich gerade die Programmatik interessant. Hier macht  jedoch die nur kurze Existenz und die damit verbundene geringe politische Positionierung der WASG es schwer gültige Aussagen zu treffen. Schiffer näherte sich der Frage über eine Zusammenfassung des Grundsatzprogramms der WASG, wobei auffiele, dass dieses sehr pragmatisch und aktionistisch ausgerichtet gewesen sei und Grundsatzfragen nur eine untergeordnete Rolle gespielt hatten. Zwar habe es durchaus schlagwortartige Aussagen zu Außenpolitik, Migration und Rechtsstaatlichkeit enthalten. Diese seien jedoch gerade im Vergleich mit der PDS „fleischlos“ geblieben. Das Programm habe sich vor allem auf ökonomische Fragen konzentriert und sei stark keynsianisch geprägt vor allem auf Umverteilung gerichtet gewesen. Es wiese daher sehr deutliche Ähnlichkeiten mit dem des DGB auf. Unter Rückgriff auf eine in der Politologie verwendeten Methode, wonach Parteien anhand eines Koordinatensystems diverser politischer Konfliktlinien eingeordnet werden, machte Schiffer deutlich, dass er für die zukünftige Entwicklung innerhalb der LINKEN weiteren Konfliktstoff sehe. Konfliktlinien in diesem Modell seien Differenzen etwa zwischen Stadt und Land, oder aber zwischen autoritären und libertären Gesellschaftsauffassungen. Während in den achtziger Jahren vor allem der Konflikt zwischen Autorität und Liberalität die gesellschaftliche Auseinandersetzung prägte und u.a. die Grünen hervorbrachte, sei nun eine Revitalisierung der Konfliktlinie Arbeit und Kapital zu beobachten, auf der sich die WASG zwar klar auf Seiten der Arbeit positioniert habe, während unklar geblieben sei, wo sie sich in der Frage Liberalität/Autorität verorte, was bei der PDS deutlicher war. Beispielhaft nannte Schiffer die Äußerungen Lafontaines, der im Fall des entführten, Frankfurter Bankierssohns von Metzler, eindeutige Sympathien für den damaligen Polizeichef Daschner veröffentlicht hatte, aber auch die Tatsache, dass ein Mitglied der NPD ein Jahr im Bundesvorstand der WASG sitzen konnte, ohne dass es irgendjemand auffiel. Der Widerspruch zeige sich natürlich auch in der Wirtschaftspolitik, insbesondere an der Frage nach der Rolle des Staates. Da die Staatskritik, wie sie von weiten Teilen der PDS entwickelt worden war, in dieser Form für die WASG ein „no-go“ sei, müsse man damit rechnen, dass der Konflikt zwischen autoritären und libertären Auffassungen lange fortdauern wird.  Nach Schiffer werde die WASG in der neuen Partei vor allem durch ihren linkskeynsianischen, wirtschaftspolitischen Sachverstand eine Bereicherung sein. Zusammenfassend stellte er fest, dass in der neuen Partei noch vieles offen sei und dringend Positionsarbeit geleistet werden müsse. Die Diskussion: and now something completly different ... Dass ein Bedürfnis nach inhaltlicher Klärung durchaus gegeben ist, zeigte sich in der anschließenden Diskussion u.a. daran, dass diese nach wenigen Ergänzungen zur Entwicklung der WASG sehr schnell auf wirtschaftspolitische Themen umschlug. Insbesondere an der Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen, entwickelte sich eine leidenschaftliche Debatte, bei der z.B. auch über den Arbeitsbegriff der Linken gestritten wurde. So wurden deutliche Zweifel an der von Teilen der LINKEN häufig geäußerten Auffassung auch heute als ehrenamtlich verrichtete Arbeit, etwa in Vereinen, sei von einem ökonomischen Arbeitsbegriff zu umfassen und entsprechend zu vergüten, laut. Auf der anderen Seite wurde echten oder vermeintlichen Gegner des Grundeinkommens vorgeworfen, Menschen zu Arbeit zwingen zu wollen. Dagegen wurde eingewendet, dass das Konzept des Grundeinkommens in der jetzt vertretenen Form die Rolle gesellschaftlich nützlicher Arbeit ausblende, was dem Verzicht auf einen politschen Gestaltungsanspruch gleichkomme. Auch die Frage, ob man sich auf Keynes in einer Wirtschaftsordnung ohne geschlossene Märkte noch beziehen kann, sorgte für Kontroversen. Schade war, dass nur knapp ein Dutzend Aktiver diese entgegen des Titels sehr aktuelle Diskussion verfolgten bzw. gestalteten und insbesondere das Interesse aus der alten PDS an den neuen Genossen nicht allzu groß erschien. Die nicht Anwesenden verpassten eine sehr offen geführte Debatte, bei der z.B. auch nicht verschwiegen wurde, dass die Anforderungen, die die politische Arbeit als Partei mit sich bringe, wohl unterschätzt worden seien.  Zuletzt wurde das Bedürfnis geäußert, sich nach der Beschäftigung mit der hauptsächlich westlichen Quelle der neuen Partei, auch die Frage zu stellen: „Was war das eigentlich im Osten?“. Vielleicht kommen dann ja auch ein paar mehr GenossInnen aus der PDS...    J.K.