Die Beschlüsse des G7-Gipfels sind an Niederträchtigkeit kaum zu übertreffen: Entgegen des Versprechens auf dem Glasgower Weltklimarat wird weiter in fossile Energien investiert und wirksame Hilfen gegen den weltweiten Hunger bleiben aus. Bereits zum zweiten Mal trafen sich die Vertreter der sieben reichsten Länder der Welt im oberbayerischen Schloss Elmau. Um das Luxus-Hotel wurde eine vier Quadratkilometer große Sicherheitszone mit neuen Landeplätzen für Hubschrauber eingerichtet und von einem 16 km langen meterhohen Zaun abgeschirmt. 18.000 Polizist*innen und Sicherheitskräfte waren im Einsatz. In einem mobilen Justizzentrum mit Arrestzellen für 150 Personen waren rund um die Uhr Richter*innen und Staatsanwält*innen anwesend. Für die Sicherheitsmaßnahmen wurden Haushaltsmittel im Höhe von 180 Millionen Euro bereitgestellt.
Dr. Julia Killet war bei den Protesten gegen den G7-Gipfel in Elmau 2022 dabei. Sie leitet das Regionalbüro der Rosa-Luxemburg-Stiftung Bayern (Kurt-Eisner-Verein) in München.
Davon ließen sich Demonstrant*innen aus dem gesamten Bundesgebiet sowie aus Österreich und der Schweiz aber nicht abschrecken. Erst kurz vor Weihnachten wurde bekannt, dass der G7-Gipfel wieder in Bayern stattfinden sollte. Den Globalisierungskritiker*innen blieb also nur ein knappes halbes Jahr, um den Protest zu organisieren. Anfang Januar 2022 wurde die Aktionsplattform Stop G7 Elmau gegründet, die als loser Zusammenschluss von klimaaktivistischen, EineWelt-Engagierten, ökologischen, kapitalismuskritischen, antirassistischen, feministischen und antimilitaristischen Gruppen zusammenarbeitete. Die bundesweite Unterstützung war eher verhalten. Kaum eine Organisation hatten den G7-Gipfel als programmatischen Jahresschwerpunkt gesetzt.
Im Vorfeld des Gipfels luden Engagierte der Bundeskoordination Internationalismus (BUKO) und der «Gruppe international München» zu einer Mobilisierungsrundreise mit Aktivist*innen aus dem globalen Süden ein. In mehr als 20 Städten berichteten Referierende aus Mexiko, Namibia, der Westsahara, Honduras und Kurdistan, wie verheerend sich die Politik der G7 auf ihre Länder auswirkt und von Kontinuitäten des Kolonialismus. Die Karawane «Für das Leben statt G7» wie sich das von der Rosa-Luxemburg-Stiftung unterstützte Projekt nannte, stoppte auch auf der Demonstration in München und reiste dann weiter Richtung Elmau.
Zum Auftakt der Proteste hatten entwicklungspolitische und globalisierungskritische Organisationen in Kooperation mit dem Kurt-Eisner-Verein zum G7-Alternativgipfel mit dem Schwerpunkt «Global gerecht Wirtschaften in Krisenzeiten» eingeladen. In sechs Workshops diskutierten die rund 60 Teilnehmenden im hybriden Bildungsformat und unter Zuschaltung von internationalen Referierenden einen Nachmittag lag Themen wie Schuldenerlass, nachhaltiges Wirtschaften und Menschenrechte und stellten gerechte Alternativen zur neokolonialen Politik der G7-Staaten vor.
Unter dem Motto «Klimakrise, Artensterben, Ungleichheit — Gerecht geht anders!» riefen am nächsten Tag Nichtregierungsorganisationen, darunter Brot für die Welt, Bund Naturschutz, Campact, Greenpeace und Misereor zur «G7-Demo» in der bayerischen Landeshauptstadt München auf. Eine direkte Zusammenarbeit mit der Plattform StopG7Elmau wurde im Vorfeld abgelehnt. Zu groß war die Sorge, das gleiche Schicksal wie Attac zu erfahren. Drei Tage vor der Demo hatten in München acht Polizeibusse gebrannt, was ohne Beweise in einen Zusammenhang mit den G7-Protesten gestellt wurde. Auf der Demonstration wurden neun Personen festgenommen. Die Aktivist*innen beklagten ein «gewaltvolles Vorgehen» von Polizist*innen.
Von den 20.000 erwarteten Demonstrant*innen kamen nur 4.000 auf die Theresienwiese. Im Vergleich zu 2015 war die Teilnahme an allen Protestformen viel geringer. Das mag verschiedene Gründe haben: Zum einen waren dieses Mal SPD, Grüne und FDP die Gastgeber*innen des Gipfels, was die Unterstützung aus entsprechenden politischen Milieus reduzierte. Zum anderen wurde der Krieg gegen die Ukraine als zentrales internationales, politisches Thema wahrgenommen und band Kräfte. Auch die Ausläufer der Corona-Pandemie machten Planungen schwierig. Außerdem ist Bayern im Gegensatz zu Hamburg, wo 2018 der G20-Gipfel stattfand und die Proteste von zahlreichen linken Organisationen bundesweit unterstützt wurden, für Engagierte größerer Städte offenbar schwieriger zu erreichen. Zudem dürfte auch das bekannte gewaltvolle Vorgehen der Polizei wie auch das besonders repressive Polizeiaufgabengesetz in Bayern abgeschreckt haben. (Siehe auch: den Bericht über den Weltwirtschaftsgipfel 1992 in München)
In Garmisch-Partenkirchen waren unterdessen die Aktiven der Plattform StopG7Elmau schon fleißig dabei das Protest-Camp aufzubauen. Dazu konnten sie an ihre Kontakte von dem G7-Gipfel 2015 anknüpfen. Der Landwirt Bernhard Raubal stellte wieder seine Wiesen mitten in der Gemeinde zur Verfügung. Mit tatkräftiger Unterstützung des linken Motorradclubs «Kuhle Wampe» wurde Zelte für Veranstaltungen, Infos, Sanitäter, Awareness, den Ermittlungsausschuss und die Münchner Volxküche aufgebaut. Der Applaus beim täglichen Plenum für die köstliche vegane Küche müsste bis nach Elmau gedrungen sein. «Die G7-Gäste werden alle fürstlich speisen. Wir haben den Anspruch das zu übertrumpfen», erklärte der Camp-Koch.
Auf dem Camp wie auch bei den geplanten Aktionen in Garmisch-Partenkirchen standen die Vorträge der Aktivist*innen aus dem globalen Süden im Mittelpunkt. Es ging darum, jenen eine Stimme zu geben, die bei dem Treffen der G7 ausgeschlossen waren. Sie informierten über Megawindparks in Mexiko, die indigene Völker vertreiben und Energie für westliche Konzerne wie Coca-Cola, VW, Siemens oder Nestlé erzeugen, damit billig produziert werden kann. Sie wiesen auf Greenwashing-Projekte hin und berichteten über unmenschliche Bedingungen bei dem Bau von Windrädern für Europa – und darüber hinaus: «Es sind deutsche Unternehmen, die unser Land plündern», «Grüne Energie, hergestellt bei uns, wird mit unserem Blut bezahlt», «Durch Gaslieferungen aus Namibia, bezahlen die Menschen hier mit ihrem Leben – das ist fortgesetzter Kolonialismus», «Die EU und Deutschland brauchen Phosphat, Öl und Gas. Die Natur wird dafür zerstört, Menschen werden gequält, ausgebeutet und zu Tode gearbeitet», «Die Unternehmen müssen vor Gericht», «Wenn die Unternehmen globalisierter werden, müssen wir unsere Kämpfe mobilisieren», «Wir haben nur den einen Planeten».
Mit ihren Botschaften und Forderungen führten die Aktivist*innen des globalen Südens in Garmisch-Partenkirchen auch die Demonstration an und sprachen zu den 3.000 Angereisten auf der Bühne. Begleitet von einem überdimensionierten Polizeiaufgebot ging es am nächsten Tag in einem Sternmarsch auf drei Routen Richtung Elmau. Die Fahrraddemo mit 20 Teilnehmenden wurde von 200 Polizeibussen eskortiert. Ähnlich erging es den 100 demonstrierenden Wander*innen. Solidarisch zeigte sich die Bevölkerung von Garmisch-Partenkirchen, die selbst seit Monaten polizeilichen Sperrungen und Kontrollen ausgesetzt war und nun die Maßnahmen des Protestgeschehen mit Kopfschütteln beobachteten.
Zum Höhepunkt der Einschränkung demokratischer Grundrechte kam es aber, als Aktive der Plattform forderten, in Hör- und Sichtweite des Schlosses zu demonstrieren. Das hatte das Aktionsbündnis StopG7Elmau bereits 2015 eingeklagt und Recht bekommen. An diesem Tag war allerdings nur eine vorangemeldete Gruppe von 50 Personen zugelassen. Alle mussten zuvor ihre Personalien, inklusive Geburtsdatum abgeben. Am Bahnhof des Ortes Klais hatte die Polizei drei Busse bereitgestellt. Die ausgewählten Demonstrant*innen mussten sich einer umfassenden Leibesvisitation unterziehen, wurden komplett durchsucht und mussten ihren Personalausweis vorzeigen. 500 Meter entfernt vom Schloss wurde den Aktivist*innen, unter ihnen auch die aus dem globalen Süden, ein schmaler Redeplatz in einem Straßengraben zugewiesen, umzingelt von rund 150 Polizist*innen. «Die Teilnehmer*innen wurden als Gefahr und nicht wie Repräsentant*innen gelebter Demokratie behandelt. Das in einer Demokratie garantierte Recht auf Versammlungsfreiheit gerät so zur Farce», äußerte sich Beobachterin Michèle Winkler vom Grundrechtekomitee. (Siehe auch Bericht des Grundrechtekomitee zu G7 sowie das Statement der Karawane). Am Ende wurden sechs Personen festgenommen, die ein «Die-In» (eine Aktionsform des gewaltlosen Widerstands) unternommen hatten, um gegen die erheblichen Einschränkungen zu protestieren.
«Die G7, ein Modell von gestern», titelte die Süddeutsche Zeitung und ähnlich äußerte es auch die CSU-Bürgermeisterin von Garmisch-Partenkirchen: «Dieser Gipfel passt nicht mehr in die Zeit.» Wozu dieser ganze Aufwand, wenn die dringenden Themen unserer Zeit wie Welthunger und Klima an den Rand gedrängt und missachtet werden? Lediglich 4,5 Milliarden US-Dollar stellten die G7 für die Hungerkrise bereit. Entwicklungsorganisationen wie Oxfam laufen Sturm. Es bräuchte mindestens 28 Milliarden US-Dollar mehr. Greenpeace bezeichnete es als fatalen Fehler russische Energieexporte durch fossile Brennstoffe aus anderen Ländern zu ersetzen.
Es ist bezeichnend für das Treffen der sieben mächtigsten Länder der Welt, dass die Vertreter*innen der fünf Gastländer aus Indien, Argentinien, Indonesien, Südafrika und Senegal die Abschlusserklärung nicht mit unterzeichnet haben.