Publikation Staat / Demokratie - Parteien / Wahlanalysen - International / Transnational - Europa - Westeuropa Wie weiter? Katalonien erneut vor der Wahl

Bei der Wahl am 21. Dezember wird es keine Mehrheit für die Unabhängigkeitsparteien mehr geben. Analyse von Mario Candeais

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Reihe

Online-Publ.

Autor

Mario Candeias,

Erschienen

Dezember 2017

Das Projekt der Unabhängigkeit Kataloniens ist vorerst gescheitert. Am 21. Dezember finden in der Autonomen Republik Katalonien erneut Wahlen statt - erzwungen nach der Anwendung des Artikel 155 der Verfassung des spanischen Staates und der Absetzung der katalanischen Regierung durch die rechte Zentralregierung in Madrid. Seither wird das Land von Madrid aus zwangsverwaltet. Der Bürgerkrieg ist ausgeblieben, doch ebenso die großen Proteste.

Und nicht nur die Unabhängigkeitsbewegung sieht sich mit schwierigen Zeiten konfrontiert. In der Polarisierung zwischen Kräften der Unabhängigkeit und zum Erhalt  der spanischen Einheit wurden jene zerrieben, die quer zu diesen Fragen der Nation stehen, insbesondere Catalunya en Comú (CeC) Podem, der Zusammenschluss aus den rebellischen Linken von Podemos und der munizipalistischen Bewegung. Sie «bezahlen den Preis für ihren Versuch politische Brücken zu bauen» (Tamames 2017) und sich dem Entweder-oder zu entziehen, auf Kosten von Veratsvorwürfen beider Seiten.

Denn beeindruckend ist nicht nur die Stärke der demokratischen Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien. Sie provozierte auch ein Wiedererstarken des spanischen Nationalismus, einschließlich seiner schlimmsten Formen retro-franquistischer Gruppen. Auch wenn es weiterhin große Proteste gegen Korruption und Kürzungspolitiken gibt, wie vor Kurzem im konservativ-geprägten Murcia, so ist es der Rechten und den von ihnen dominierten Medien gelungen die Symbole nationalen Zusammenhalts zu vereinnahmen. Alle Kräfte, die nicht vorbehaltlos für die Einheit stehen, können vor diesem Hintergrund denunziert werden. Und Undia@s Podemos, das Bündnis von Podemos, Izquierda Unida und den munizipalistischen regionalen Plattformen, vertritt seit langem die Forderung nach einem konstitutiven Prozess für eine plurinationalen spanischen Föderalstaat in einem erneuerten Europa. Damit stehen sie auch für einen Bruch mit der Verfassung von 1978. Sie verteidigen das «Recht auf Abstimmung» und fordern die Freilassung der politischen Gefangenen. Unid@s Podemos gelten damit als Mutterlandsverräter («la patria» ist im spanischen weiblich) und Anti-Monarchisten (letzteres ist zutreffend, aber nicht Priorität auf der Agenda).

Die sozialdemokratische PSOE mit ihrem Vorsitzenden Pedro Sánchez hatte gerade ihren Bürgerkrieg nach dem innerparteilichen Coup gegen Sánchez mit dessen erneuten Sieg in der Urwahl beendet (Andrade 2017, Candeias 2017). Gewonnen hatte er mit dem Versprechen, die Partei nun konsequent auf einen Kurs sozialer Gerechtigkeit bringen zu wollen, Spanien als plurinationalen Staat zu reformieren und in klarer Opposition zur rechten PP von Ministerpräsident Rajoy. Nur sechs Monate später ist das Gegenteil der Fall: die PSOE unterstützt den harten Kurs von Rajoy zur Unterwerfung der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung und der Anwendung des Artikel 155, weit über die Buchstaben der Verfassung hinaus, die eigentlich nicht die Absetzung einer gewählten Regierung vorsieht. Als Gegenleistung für den Schulterschluss mit dem spanischen Nationalismus der Rechten erhielt Sanchez die Zusicherung für eine Verfassungsreform.

Die Unbestimmtheit einer solchen Reform, deren Zeitpunkt und Inhalte unklar sind, scheint sich mit der Forderung von Unid@s Podemos zu treffen. Zunächst verleiht sie dem überharten Repressionskurs von Rajoy jedoch eine höhere Legitimität.

Podemos hatte versucht, kritische beäugt von europäischen Linken wie mir selbst, der Vereinnahmung der nationalen Symbole durch die Rechten zuvor zu kommen und Patriotismus von links wiederzugewinnen, z.B. mit Kritik an jenen, die «die spanische Fahnen schwenken, aber ihr Geld auf schweizer Bankkonten verstecken» (Tamames 2017). Pablo Iglesias wies immer wieder einen Patriotismus zurück der «Hass, Verbitterung und Rache» predigt und rief dagegen die Hoffnung an, «Heimat aus den alltäglichen Taten» entstehen zu lassen, nie wieder ein «Spanien ohne seine Völker [pueblos im Plural] oder seine Vielen [gentes]». Diese Rhetorik eines linken Populismus stand in starkem Kontrast zur übrigen Linken im spanischen Staat, die einem Patriotismus bis heute skeptisch gegenüber steht.

Aber diese Versuche den Patriotismus von links zu besetzen, haben an Kraft verloren angesichts der Polarisierung von Einheit vs. Sezession. Vor allem in Katalonien selbst fällt es schwer die eigene Position zu transportieren. Die Diskursmaschine selbst ist antagonistisch kalibriert. Von Seite der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung wird Unid@s Podemos «Äquidistanz» vorgeworfen, eine gleichgewichtige Distanzierung sowohl von der Repression von Rajoy wie von der demokratischen Unabhängigkeitsbewegung. Auch wenn der Vorwurf nicht zutrifft, weil es keinerlei Schnittmengen zu Rajoy und seiner Politik gibt, aber viele Forderungen der Bewegung unterstützt werden, das Recht auf Abstimmung, auf Demonstrationen, die Freilassung der politischen Gefangenen etc. - trotz Kritik am verantwortungslosen Vorgehen der katalanischen Regierung und eine abweichenden Position in Sachen einseitiger Unabhängigkeit (vgl. Candeias 2017a und 2017b). Es hilft nichts: Differenzierungen dringen kaum noch durch.

Dazu kamen Differenzen und Kommunikationsmängel zwischen Podemos-Zentrale und seiner katalanischen Parteiorganisation, mehrheitlich von der Fraktion der «Antikapitalisten» geprägt. Die Abgeordneten der Partei im katalanischen Parlament hatten mehrfach zugunsten der Schritte zur Unabhängigkeit gestimmt, ohne die Zentrale zu informieren, bewusst gegen die Position der Partei. Albano Dante Fachin, der Vorsitzende von Podemos in Katalonien, wollte bei den anstehenden Wahlen an der Seite der Unabhängigkeitsparteien anzutreten. Dies war der Anlass für seine Absetzung, oder wie Kritiker formulieren, für die «interne Anwendung des Art. 155». Stattdessen wurde eine Abstimmung angesetzt, ob Podemos zusammen mit Catalunya en Comú - kurz: Comunes - antritt, prominent vertreten durch Ada Colau. So kam es auch: Nun führt Xavier Domènech die Liste von Catalunya en Comú (CeC) Podem an. 
 

Katalonien-Wahl: mögliche Ausgänge

Dies ist eine seltsame Wahl auch, weil durch die harte Repression der Unabhängigkeitsbewegung und die Inhaftierung wichtiger Führungspersonen, von «freien» Wahlen nicht wirklich die Rede sein kann. Neben den politischen Gefangenen der zivilgesellschaftlichen Organisationen, Jordi Sànchez, Vorsitzender der Asamblea Nacional Catalana (ANC, der «Nationalversammlung») und Jordi Cuixart von Òmnium Cultural, können auch die Spitzen der Unabhängigkeitsparteien keinen ungehinderten Wahlkampf führen: Zwei Drittel des Kabinetts der abgesetzten katalanischen Regierung sitzen in Haft, ein weiteres Drittel im Exil in Brüssel. Der Vorsitzende der linksrepublikanischen ERC und frühere Vizepräsident President Oriol Junqueras wartet ebenso in der Zelle wie der auch auf der ERC-Liste antretende frühere «Außenminister» Raul Romeva. Bekanntermaßen weilt Carles Puigedemont, abgesetzter Präsident der katalanischen Regierung, im Exil in Brüssel, während die neue Nummer zwei auf seiner Liste, Jordi Sànchez, noch immer im Gefängnis sitzt.

Dennoch wird eine Rekordwahlbeteiligung von an die 90 Prozent erwartet. Die unterschiedlichen Umfragen liefern jedoch kein klares Bild. Es gibt ein Kopf-an-Kopf-Rennen von Ciutadans, dem katalanischen Arm der rechts-neoliberalen Partei Cuidadanos (Bürger) und der linksrepublikanischen ERC (Esquerra Republicana de Catalunya), die beide deutlich zulegen und zwischen 22 und 25 Prozent schwanken. Sie bekämen damit jeweils 31-32 Sitze. Die ERC hatte sich nach Streit über das einseitige Vorgehen bei der Unabhängigkeitserklärung entschlossen nicht mehr gemeinsam mit der PDeCat (Partit Demòcrata Europeu Català - Demokratisch europäische Partei Kataloniens) von Präsident Puigdemont im gemeinsamen Wahlbündnis für die Unabhängigkeit Junts pel Sí (JxSÍ - Gemeinsam für ein Ja) anzutreten.

Die Liste von JxSÍ, die nun praktisch nur noch die liberale PDeCat repräsentiert, ist denn auch zurückgefallen und wird voraussichtlich noch 25 Sitze erhalten. Stark verbessern wird sich wohl die PSC, der katalanische Ableger der sozialdemokratischen PSOE, die etwas über 20 Sitze erwarten darf. Leicht verlieren werden die basisdemokratische Candidatura d´Unitat Popular (kurz CUP) sowie Catalunya en Comú (CeC) Podem. Für beide Gruppierungen werden etwa neun Sitze erwartet. Etwas deutlicher sind die Verluste für die PP, die ohnehin nie stark war in Katalonien, nun aber in Folge der Repression der Unabhängigkeitsbewegung durch die PP-Regierung in Madrid weiter an Boden verliert und wohl nur noch sieben Sitze erhalten wird.

Sollte es doch knapp für eine Mehrheit der Unabhängigkeitsparteien reichen, käme ERC-Generalsekretärin Marta Rovira eine Schlüsselrolle zu (solange die anderen Spitzen der Partei in Haft bleiben). Doch wie soll sie gegen den Art 155 regieren? Die CUP hat bereits angekündigt, keine Regierung zu unterstützen, die nicht die Unabhängigkeit in kurzer Frist anstrebt und konsequent verfolgt. Die CUP-Kandidatin in Barcelona, Vidal Aragones, meint: «Wir sind nicht in die Institutionen gegangenen, um an einer regionalen Verwaltung in Spanien teilzuhaben.» Die CUP will einen konstitutiven und partizipativen Prozess von unten. «Die Menschen sind reif genug selbst zu entscheiden, was sie möchten. Wenn wir Mehrheiten bilden,  wird die Intervention des Staates verunmöglicht», meint Aragones (Nichols 2017). Doch jeder Schritt in Richtung Unabhängigkeit hätte eine erneute Zuspitzung mit der rechten Regierung in Madrid zur Folge.

Voraussichtlich wird es keine Mehrheit für die Unabhängigkeitsparteien mehr geben. Eine Lösung scheint nach allen Seiten hin blockiert, denn auch das Lager für den Erhalt der spanischen Einheit ist trotz der möglichen Zugewinne weit von einer Mehrheit im katalanischen Parlament entfernt. Und ohnehin schließt die sozialdemokratische PSC bislang eine Regierung sowohl mit ERC als auch Ciutadanos aus.

Dann bliebe nur eine weitere Möglichkeit: eine «transversale» und soziale Koalition von Comunes, PSC und eben doch ERC, die für soziale Reformen, eine Neuverhandlung des Autonomiestatutes und einen konstitutiven Prozess sowohl in Katalonien wie im gesamten spanischen Staat eintritt. Die ERC signalisierte, dass sie nicht auf eine einseitige Unabhängigkeitserklärung mehr setze. Die PSOE im spanischen Parlament ist bisher aber auch nicht bereit mit der rebellischen Linken von Podemos und der municipalistischen Bewegung zusammen zu gehen - insofern ist fraglich, ob sie es in Katalonien tun wird. Aber manchmal werden ja auf regionaler Ebene Koalitionen gewagt, die später auch auf gesamtstaatlicher Ebene durchgesetzt werden. Es bedarf eines emanzipatorischen Projekts für Katalonien und auch für den spanischen Staat insgesamt. Auch wenn die Rechte in den Auseinandersetzungen Terrain gewonnen hat, Ciutadanos gestärkt, die Regierung von Rajoy stabilisiert wurde und beide versuchen ein autoritäres Projekt seit 2011 zu vertiefen - «Spanien ist ein plurinationales und polyzentrisches Land. Diese Realität kann nicht dauerhaft unterdrückt werden» (Tamames 2017).

Unid@s Podemos setzt entsprechend in der Frage einer Verfassungsreform, wie sie die Regierung und PSOE ja angekündigt haben, nach. Sie reichten Verfassungsklage gegen die Art und Weise der Anwendung des Art 155 ein. Unwahrscheinlich, dass das Verfassungsgericht zu ihren Gunsten entscheiden wird. Doch die Debatte wird geführt und eine Reform offensichtlicher und dringlicher.
 

Literatur

Andrade, Juan, 2017: Implosion. Warum sich die Sozialistische Arbeiterpartei Spaniens (PSOE) selbst zerstört, in: LuXemburg, H. 3

Candeias, Mario, 2016: Die alte Tante. Warum die Sozialdemokratie die Grenze eines linken Projekts markiert, in: LuXemburg, H. 3,

ders., 2017a: Katalanisches Referendum: Bruch mit Austerität und Autoritarismus, in: Luxemburg-online, September

ders., 2017b: Katalonien: Nach dem Ende des Dialogs - gegen den Bürgerkrieg; RLS-online, Oktober

Nichols, Dick, 2017: Catalan elections: Jailed and exiled candidates confront the Spanish state, in: Green-Left Weekly, 2. Dezember

Tamames, Jorge, 2017: The Roots of Spanish Rage, in: Jacobin v. 18. November